Starker Anfang, Schwaches Ende

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jesseyen Avatar

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3,5/5 Sterne

Das Setting, das Glattauer in den ersten Seiten konstruiert, hat mir sehr zugesagt und mich zum Lesen des Buches bewegt. Zwei Familien, die als überaus privilegiert beschrieben werden, fahren mitsamt ihren Kindern in den Urlaub. Eines der Kinder besteht darauf eine Schulfreundin mitnehmen zu dürfen - ein zurückhaltendes und ruhiges Mädchen mit Fluchtgeschichte, die so gar nicht zu dem unreflektierten Haufen der zwei Familien zu passen scheint.

Nach den ersten Seiten passiert eine Situation, die eine Wendung in die Gesichte bringt. Diese hatte ich nicht erwartet und schien als vielversprechende Ausgangslage für eine mögliche Konfrontation der Familien (und in weiteren Sinne für die Leser:innen) mit ihren eigenen internalisierten Vorurteilen und Rassismen. So war ich schnell an das Buch gefesselt und sehr angetan.

Doch mit zunehmender Handlung deckten sich meine Erwartungen weniger mit dem Geschehen und ich empfand Enttäuschung über den Ausbau der interessanten Grundhandlung. Nach meinem Empfinden wurde der Fokus zu sehr auf die reichen Familien und ihre, irgendwann als anstrengend zu lesende, Doppelmoral gelegt - die mir an manchen Stellen zu wenig kritisch eingebettet wurde. An den Stellen hätte ich mir Sichtbarkeit für die Familie der Schulfreundin gewünscht. Denn hier zeigt sich eine der Schwächen des Buches; welches bei der Perspektive zu wenig in die Tiefe geht und am Ende zu schnell abarbeitet.

Zusammenfassung:
+ Gefallen hat mir die bissige Sprache und der Schreibstil des Autors, gelungene Abwechselung so anderen Büchern.
+ Außerdem zugesagt hat mir die Kapitelaufmachung in geteilte Sektionen mit Zwischenüberschriften.
+ Ausgangslage sehr vielversprechend. Verspricht einen kritischen Beitrag zum medialen Diskurs über Geflüchtete und Menschen mit Migrationserfahrung.

- Gleichzeitig sehe ich genau in dem letzten Punkt eine Schwäche des Buches. Mir persönlich war der Kommentar zu wenig kritisch. Es hat zu wenig wehgetan und ich glaube, dass dadurch zu wenigen Menschen der Spiegel vorgehalten wurde und an die eigene Reflexion appelliert wurde.
- Zudem wurden mir zu viele Rassismen reproduziert. Ab irgendeinen Punkt wurde es einfach zu viel, insbesondere da sich die Handlung ab da an gezogen hat und die Rassismen und Stereotype zu wenig eingeordnet wurden
- Großer Minuspunkt und ausgesprochene Triggerwarning: Das N-Wort wird mehrfach in dem Buch ausgeschrieben. Mittlerweile ist der breite Diskurs dahingehend soweit, dass das eine Grenzüberschreitung darstellt. Ich verstehe nicht, warum der Autor dies reproduziert, insbesondere da es absolut nicht relevant für die Handlung ist (auch wenn dies so oder so schwer als Argument herhalten würde). Zudem werden weitere herablassende/rassistische Bewertungen vorgenommen, die für den Kontext und das Wirken des Buches nicht notwendig gewesen wären.