Das wir über dem Ich

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oogiderfliegendebison Avatar

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Wenn man Die Spur der Vertrauten beendet, hat man das Gefühl, eine Welt betreten zu haben, die vertraut und fremd zugleich ist – und die man so schnell nicht hinter sich lässt. Dabos entwirft eine dystopische Gesellschaft, die von strengen Strukturen geprägt ist und in der das „Wir“ über dem „Ich“ steht.

Im Zentrum steht die Idee des Instinkts: Jede Person trägt diesen inneren Kompass sichtbar nach außen, ein unausweichliches Merkmal, das den Platz im Gefüge bestimmt. Was auf den ersten Blick wie eine Ordnung voller Klarheit wirkt, entpuppt sich schnell als Welt, in der Hierarchien erbarmungslos greifen und Individualität keinen Raum hat. Genau dieses Spannungsfeld – Instinkt versus Wille – macht den Reiz der Geschichte aus.
Beim Lesen stellt man sich Fragen wie: Was ist wichtiger für die Gesellschaft? Das Individuum oder eine homogene Gemeinschaft, in der alle für alle da sind – es aber keine Selbstbestimmung gibt?

Mich hat besonders beeindruckt, wie Dabos es schafft, diese gesellschaftliche Konstruktion nicht nur als Kulisse zu nutzen, sondern als Motor der Handlung. Die Figuren müssen immer wieder abwägen zwischen Gehorsam und eigenem Willen. Dabei war für mich in der Geschichte nichts vorhersehbar: Gerade, wenn man meint, den Verlauf zu ahnen, kommt eine unerwartete Wendung, die alles in Frage stellt.

Die Sprache liest sich flüssig, die Welt ist detailreich ausgestaltet, und doch bleibt genug Raum für eigene Gedanken. So wird Die Spur der Vertrauten mehr als eine spannende Geschichte – es ist auch ein Buch, das nachdenklich macht und die Leserinnen und Leser dazu einlädt, ihre eigenen Antworten zu finden.

Für mich war es ein intensives, fesselndes Leseerlebnis, das mich bis zur letzten Seite gefangen hielt und auch danach nicht losgelassen hat.