Die Menschen hinter den Monstern

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tagträumer Avatar

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Irène lebt einen Albtraum. Ihr Sohn Jonas ist tot, erschlagen von seinem älteren Halbbruder Martin. Neben der Leiche von Jonas findet die Polizei die Leiche eines geschändeten Jungen, Joey. Nach ersten Untersuchungen gehen die Ermittler davon aus, dass Martin Joey entführt hatte und von Jonas bei dessen Tötung überrascht wurde, woraufhin er auch diesen Zeugen erschlug. Martins Version der Geschichte tönt aber anders: Er ist seinem jüngeren Halbbruder gefolgt, da er schon geahnt habe, dass dieser Pädophile Neigungen hat. Als er Jonas dann bei der Tötung von Joey gesehen hat, hat er ihn im Affekt erschlagen, weil er selbst von seinem vor einigen Jahren verstorbenen Vater Missbraucht wurde und im jüngerern Bruder den Vater wieder erkannte. Für alle Fragen hat Martin eine Antwort. Er schafft es, das Gericht zu überzeugen und wird nur für Totschlag im Affekt verurteilt; eine Strafe, die er durch die Untersuchungshaft bereits abgesessen hat.

Irène glaubt Martin eigentlich nicht. Trotzdem plagen sie Zweifel. Hat ihr verstorbener Mann Joachim tatsächlich Martin als kleinen Jungen Missbraucht? Vielleicht sogar auch Jonas, ihren gemeinsamen Sohn? Sie macht sich auf, Spuren und Hinweise zu suchen; kramt in Erinnerungen, wird von der Vergangenheit eingeholt.

Mit der Zeit wird klar, dass Martin der Kinderschänder ist. Irène setzt nun alles daran, weitere Gräueltaten zu verhindern, schafft dies aber nicht. Gleichzeitig plagen sie die Fragen nach dem Warum und ob und wie das alles hätte verhindert werden können. Haben sie und Joachim bei der Erziehung versagt? Hätte alles anders kommen können? Hätte sie sich durchsetzen müssen, dem Streit mit Joachim nicht ausweichen, wenn es um Martin ging?

Abschliessende Antworten auf alle ihre Fragen findet Irène nicht. Dem Albtraum wird aber ein Ende gesetzt, von Tina, Martins Freundin.

 

Das Buch ist genial aufgebaut mit den verschiedenen Erzählperspektiven. Die mehr psychologischen und medizinischen Überlegungen und Hintergründe machen für mich die herausragende Qualität dieses Buches aus. Wir werden hier mit ziemlich komplexen Charakteren konfrontiert, es gibt nicht die Bösen und die Guten, jeder und jede hat seine Schattenseiten, die einen mehr, die anderen weniger. Selbst bei Martin klingt die Selbstreflexion mehrfach an. So wie er im Buch dargestellt wird, hat er aber offenbar von klein auf eine ganz eigene Weltsicht entwickelt, was mir persönlich sehr realistisch erscheint.

Die wertvollste Stelle im Buch ist das Kapitel mit den Überlegungen von Hanno Schneider zu gewalttätigen Menschen. Sind sie heilbar? Therabierbar? Vermeidbar? Oder werden sie für immer ein Bestandteil der Menschheit sein?