Hallt lange nach

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
kascha Avatar

Von

Der Debütroman “Die Summe unserer Teile” erzählt eine sehr bewegende Geschichte von drei Frauen - Mutter, Tochter und Enkelin, die nicht nur durch ihre familiäre Bindung, sondern auch über die Hingabe zur jeweils gewählten Wissenschaft sowie den Migrationserfahrungen, die über Generationen mitgegeben wurden, eng miteinander verknüpft sind. Paola Lopez spannt in ihrem Buch einen Bogen über siebzig Jahre und führt die Leser:innen von Polen über den Libanon bis nach Deutschland.

Im Mittelpunkt steht Lucy, eine Informatikstudentin in Berlin, die nach einem Zerwürfnis den Kontakt zu ihrer Mutter Daria abgebrochen hat. Eines Tages wird ihr überraschend ihr Steinway-Konzertflügel geliefert – jenes Instrument, auf dem sie als Kind spielen musste und das sie mit ihrer entfremdeten Familie verbindet. Dieses unerwartete Ereignis weckt in Lucy den Wunsch, mehr über ihre Familiengeschichte zu erfahren, insbesondere über ihre Großmutter Lyudmiła, deren polnischen Geburtsname Lucys Mutter als Unterschrift auf dem Lieferschein nutzte. Spontan reist sie nach Sopot, um den Geheimnissen ihrer Herkunft auf den Grund zu gehen.

Durch wechselnde Erzählperspektiven und Zeitebenen entfalten sich die Geschichten von Lyudmiła, Daria und Lucy. Lyudmiła, die als Zwölfjährige aus Polen in den Libanon emigrierte, etablierte sich in den 1940er Jahren als brillante Chemikerin. Nach der Geburt ihrer Tochter Daria erlitt sie eine psychische Krise, die zu ihrer Einweisung in eine englische Klinik führte, während Daria von einer Nanny aufgezogen wurde. Darias Lebensweg führte sie später nach Deutschland, wo sie in den 1970er Jahren eine der wenigen Medizinstudentinnen in München wurde und Lucys Vater Robert kennenlernte.

Paola Lopez gelingt es, die unterschiedlichen Epochen und Schauplätze lebendig und detailreich darzustellen. Sie beleuchtet die Herausforderungen, denen sich die drei Frauen in ihren jeweiligen männerdominierten Wissenschaftsfeldern stellen mussten, sowie die kulturellen und persönlichen Konflikte, die ihre Beziehungen - vor allem zueinander - prägten. Der Roman thematisiert nicht nur die komplexe Mutter-Tochter-Dynamik, sondern auch die Suche nach Identität und Zugehörigkeit vor dem Hintergrund von Migration und Neuanfang.

Ein zentrales Motiv ist die Frage, wie das Erbe unserer Mütter unser eigenes Handeln und schlussendlich unser eigenes Leben prägt und wie und ob Vergebung innerhalb der Familie möglich sein kann. Die Charaktere sind vielschichtig und authentisch gezeichnet, wobei insbesondere Lucys Entwicklung und ihre Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte im Vordergrund stehen. Der flüssige Schreibstil und die kunstvolle Verknüpfung der verschiedenen Handlungsstränge machen das Lesen zu einem fesselnden und stellenweise wirklich leuchtenden Erlebnis.

“Die Summe unserer Teile” ist ein bewegender Roman über drei beeindruckend starke Frauen, die trotz widriger Umstände ihren Weg finden und dabei mit den Schatten ihrer Vergangenheit ringen. Paola Lopez schafft es, die Leser:innen auf eine emotionale Reise mitzunehmen, die zum Nachdenken über Familie, Identität und die eigenen Wurzeln anregt. Ein Buch, das - wenn man sich drauf einlässt - noch lange nachhallt.