Wollte das Buch lieben

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Douglas Westerbekes „Die unendliche Reise der Aubry Tourvel“ schien eine Handlung zu versprechen, die alles mitbringt, eine der Leseentdeckungen des Jahres zu werden. Wird dieser Eindruck durch die Lektüre bestätigt?

Nachdem die neunjährige Aubry von einem seltsamen Leid heimgesucht wird, das ihr Krämpfe und Blutungen beschert, wenn sie lange an einem Ort ist oder dort zuvor schon war, kann sie nur wenige Tage an einem Ort verweilen. Im Laufe ihres Lebens reist sie – meist zu Fuß – durch die Welt und lernt so Wüsten, Klondike, Siam, Himalaya, Russland, Kongo … kennen. Zwar verliert sie durch dieses unstete Leben den Halt ihrer Familie, lernt jedoch zahlreiche Menschen kennen, die sie liebgewinnt – aber weiterzieht. Nur wenige Personen begegnen ihr immer wieder bzw. bleiben ihre Begleiter – oder sind es gar keine Personen, sondern Figuren aus Geschichten? Denn einen Ort gibt es doch, an dem Aubry in ihrem langen abenteuerlichen Leben länger bleiben kann, eine Bibliothek, in deren Büchern und Schriftrollen sie sich verliert. Ihr ganzes langes Leben lang hofft sie, eine Erklärung für ihre Krankheit zu bekommen …

Ein wenig ging es mir mit der Lektüre dieser Geschichte wohl wie der Protagonistin selbst – doch der Reihe nach: Die Handlung beginnt im Jahr 1885, sodass Aubrys (im wahrsten Sinne des Wortes) Lebensweg quasi durch das 20. Jh. führt – wenngleich ein in Teilen fiktives –, was dem Autor die Gelegenheit gibt, über die Transsibirische Eisenbahn, Aubrys erste Begegnung mit dem Eiffelturm und ähnlich bedeutsame „Phänomene“ zu fabulieren. Überhaupt geht es Westerbeke offenbar vor allem darum: das Fabulieren. Ja, er spricht Fernweh, Heimweh, Verluste, Verbundenheit usw. an, ja seine anfangs junge Protagonistin entwickelt sich im Verlauf der Geschichte, aber manches wirkte auch merkwürdig (ohne spoilern zu wollen, sage ich nur „Speer“ oder „Rätselball“ – und ja, ich bin mir bewusst, dass die Geschichte mehr oder minder in der Fantastik anzusiedeln ist) und so war vieles an der Geschichte für mich mehr „Erzählen um des Erzählens willen“. Ja, man merkt Westerbekes Stil den belesenen Bibliothekar an, denn sein Schreibstil ist unzweifelhaft bildgewaltig und in gewisser Weise fesselnd, variantenreich, doch Längen gab es durchaus. Im Nachhinein ergeben auch die Wechsel der Erzählzeit von Präsens zu Präteritum Sinn. Sinn ergeben auch einzelne Lehren, die der Autor seiner Leserschaft mitgibt, etwa dass man sich lieber über das freut, was man (gerade, vielleicht auch nur kurz) hat als über das grämt, was man nicht (mehr) hat (hört, hört, das Leben ist kurz …). Vielleicht müsste man diese Geschichte noch mehr als eine Art Parabel lesen (unser Leben in einer sich stets ändernden Umwelt oder so ähnlich), um sie vollends zu genießen oder zu verstehen. Meine Hoffnung war eine Geschichte im Stile von Addie LaRue, Benjamin Button usw. für Bücherliebhaber und in gewisser Hinsicht war es davon auch gar nicht so weit weg, vielleicht hatte ich nur zu hohe Erwartungen. Allerdings war meine Hoffnung auch, eine (nachvollziehbare) Erklärung für Aubrys Krankheit zu bekommen – und ja, es gibt eine Art Auflösung, doch die lässt mich ratlos zurück. Daher tue ich mich mit der Bewertung sehr schwer, weshalb ich sie mit 3,5 bzw. 3 Sternen für ein Buch, bei dem jeder selbst entscheiden sollte, anderen überlasse.