Sehr berührend!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
nepomurks Avatar

Von

Linn Ullmann hat wie ich finde ein sehr außergewöhnliches und aufwühlendes Buch über sich und die Beziehung zu ihrem Vater, insbesondere zur Periode vor dessen Tod verfasst. Sie erzählt in einem durchweg stillem Ton, wählt ungewöhnliche Perspektiven und bricht immer wieder mit ihrem ganz persönlichen Schreibstil. Ich musste mich erst einige Seiten lang in das Buch einlesen, fand es dann aber umso packender und tiefgründiger.
Alles beginnt wenig spektakulär. Außer dem irgendwie teilnahmslos wirkenden Blick auf eine unstetige Kindheit und teils ungewohnte Familienkonstellationen passiert im Grund nichts Bemerkenswertes. Linn Ullmann schreibt zu Beginn durchgängig aus der Sicht der 3. Person, dem „Mädchen“. Immer wieder erwähnt sie beiläufig, dass es doch nun langsam an der Zeit sei, dem Mädchen einen Namen zu geben – macht es aber nicht. Und so bleibt es erst einmal dabei. Die Geschehnisse nehmen ihren Lauf, wirken manches Mal ungewöhnlich und aus großer Distanz beschrieben. Aus dem Mädchen wird eine Frau, eine Ehefrau und Mutter. Vater und Tochter beschließen eine Biografie zu schreiben. Doch der Vater erkrankt an Demenz – und stirbt. Linn Ullmann bleibt nichts anderes übrig, als sein Vermächtnis in Form der gemeinsam aufgenommenen Audio-Dateien aufzuarbeiten. Und sich diesem Prozess zu stellen war für Linn Ullmann merklich ein sehr schwieriger und berührender Weg.
Was Linn Ullmann‘s Roman und (Auto-) Biografie hier so besonders macht, sind die Zwischentöne und subtilen Inhalte - all das also, was der Leser zwischen den Zeilen erfährt und interpretiert. Die Autorin bedient sich immer wieder verschiedenster Zitate bekannter Figuren, nutzt perspektivische Brüche und schafft mit ihrem beinahe schon phlegmatisch wirkenden Schreibstil eine sehr eindrückliche und ergreifende Atmosphäre, die dicht und entmutigend scheint. Auch als es zum direkten Austausch mit dem Vater kommt, wirkt die Szenerie zwar manches mal recht emotional, doch ist immer eine gewisse Distanz zu spüren. Es erscheint wie eine bis dahin brüchige Beziehung zum Vater, die nun durch das Fortschreiten der Demenz ganz zu entgleiten scheint und unausweichlich mit dessen Tod endet. Ein Rückblick der Autorin, der mir durch seine große Tragweite bisweilen unter die Haut ging.
Ich finde Linn Ullmann‘s „Die Unruhigen“ ist ein absolut lesenswertes Buch, das ich uneingeschränkt weiterempfehlen würde. Jedoch ist es meines Erachtens durch den doch eher unkonventionellen Schreibstil keine durchweg „leichte Lektüre“ und fordert den Leser oftmals behutsam zum Nachdenken über die eigene Familienbande heraus. Großartig, deshalb gute 5 Sterne.