Subtil, verletzlich, schön

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zeilentänzer Avatar

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Vor guten Büchern kann ich mich gerade kaum retten. Soviel sei bereits auch zur folgenden Rezension erwähnt. In der letzten Zeit wurde ich, was die Qualität der Literatur der ich mich widmete anbelangt, selten enttäuscht. Darunter waren vor allem jene Bücher, die mir eher zufällig in die Hände fielen. Auch der Roman Die Unruhigen der norwegischen Autorin Linn Ullmann, stand zwar nicht ganz oben auf meiner Liste, hat mich aber gerade deshalb positiv überrascht. 

Linn Ullmann hat einen interessanten und aussergewöhnlichen Erzählstil. Anfangs wusste ich nicht, ob er mir so recht gefallen wollte, umso mehr ich aber in die Geschichte eintauchen konnte, umso passender erschien er mir. Auf sehr subtile Weise macht Ullmann dem Leser die Beziehung von Vater und Tochter begreiflich. Sie nutzt eine breite Palette an Emotionen, um ihren Charakteren eine einzigartige Persönlichkeit zu verleihen.

Das Mädchen kann das Erwachsensein kaum abwarten, während die Eltern ein ewiges Kind zu sein scheinen. Ich habe nicht immer verstanden, ob es sich um drei Perspektiven handelt, in denen die Autorin erzählt, glaube aber, dass es eher drei Leben sind, die aus ihrer individuellen Sichtweise wiedergegeben werden.

Der Roman kann keinem Genre zugeteilt werden, da er verschiedenste Merkmale in sich birgt, die es ihm nicht erlauben, sich auf eine Sparte zu begrenzen. Das machte das Buch für mich besonders interessant. Immer wieder musste ich mir in Erinnerung rufen, wie ich meine Familie als Kind betrachtete, welche Bedeutung sie für mich hatte und immer haben wird. Das ist im Grunde die große Thematik des Buches. Das Mädchen berichtet in sehr rührender, weil wütender, trauriger und fröhlicher Weise von dem Verhältnis zu ihren Eltern und wie sie die beiden sah.

Das Mädchen ist mittlerweile eine erwachsne Frau, als sie vor dem bevorstehenden Tod ihres Vaters mit ihm das gemeinsame Projekt - ein Buch schreiben - in die Realität umsetzen will. Dazu trifft sie sich mit ihrem Vater, der Pünktlichkeit sehr schätzt an verschiedenen Tagen, um ihn zu interviewen. Ein Tonbandgerät dient als Erinnerung dessen, was der Vater erzählt. In den Gesprächen zwischen Vater und Tochter berichtet Ersterer über sein Leben, seine Ängste und seinen aktuellen Zustand.

In einem der anderen Leben berichtet das Mädchen, das zu der Zeit noch ein Kind ist, von von ihrem ambivalenten Verhältnis zu ihrer Mutter. Von Umzügen in die USA, Schwierigkeiten die englische Sprache zu erlernen, sich selbst zu finden, die Launen der Mutter und deren Liebhaber zu ertragen und gleichsam die bedingungslose Liebe eines Kindes zu seiner Mutter und mit welchen Ängsten diese einhergeht. Die Mutter ist beruflich oft fort und das Mädchen ist vielen Kindermädchen ausgesetzt, die am Ende alle gehen.

Ein drittes Leben schildert das Mädchen als Mutter dreier Kinder und Ehefrau, als mittlerweile über vierzigjährige Frau. Sie liebt ihre Kinder über alles und führt eine glückliche Beziehung. Der Vater ist hier bereits verstorben, doch die Erinnerung wird immer bleiben. Das Tonbandgerät konnte sie lange nicht anhören, vor lauter Schmerz. In diesem Abschnitt beschreibt die Frau ihre wiederkehrende Sehnsucht nach ihrem Vater und dem Bedürfnis selbst eine gute Mutter zu sein.

Die Autorin schreibt sehr verletzlich, humorvoll und regt zum Nachdenken an. Die eigene Vergangenheit, insbesondere die Kindheit laufen vor dem geistigen Auge ab. Ich habe gelacht und geweint, am Ende war ich sehr glücklich, das Buch gelesen zu haben. Ein großartiger Roman.