beeindruckend, wie unterhaltsam und tiefgründig eine familiensage sein kann

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blätterwald Avatar

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„Die Zukunft, dachte er, ist die wichtigste aller Zeiten, die Vergangenheit ist genau dort, wo sie hingehört und die Gegenwart viel zu flüchtig, aber die Zukunft, für die lohnt es sich zu leben.“
Banal, aber doch wieder weise Worte. Familienromane sind auch immer ein Zeitspiegel, eine Zeitreise über verschiedene Zeiträume. Und in Deutschland müssen sich immer noch die Familienromane mit dem „Überroman“ messen. Bei diesem Roman ist der Zeitrahmen von 1914 bis in die nahe Zukunft 2027 angesetzt worden. Zwei Weltkriege umfassend und viele gesellschaftliche Veränderungen, erzählt in einem Stil, der mich schon gleich von der ersten Seite an gepackt hat. Hier wird Literatur nicht nur ausschließlich für die „Elite“ geschrieben, sondern auch für diejenigen, die Leseerfahrungen genug aufweisen können, die kein Literaturstudium absolviert haben. Einfache Dinge in eine Sprache verpackt, die so bildreich ist, so phantasievoll und doch real und verletzend verletzlich, dass beim Lesen die Bilder nur so aufploppen, das man beim Lesen gleich einen inneren Film sieht. Selbst wenn man als Leser noch nie an einem der aufgeführten Orte gewesen ist, vermittelt der Autor einem doch das Gefühl, zu dem Zeitpunkt des Lesens genau dort, an dem beschriebenen Ort zu sein. Ich habe mich nicht eine Seite lang gelangweilt oder mich über die Seiten gequält, bis es endlich wieder weiterging. Nein, bei diesem Buch war es nicht der Fall.
„Die unsterbliche Familie Salz“, so heißt dieser Roman und handelt, wie der Name schon sagt, über die Familie Salz, wobei der Hauptaugenmerk auf die weibliche Linie gelegt wurde. Aber über allem liegt ein Schatten. Und dieser Schatten ist ein zentrales Thema, zieht sich durch die Seiten und ist immer an der Seite der Familie Salz, sie können ihm nicht entfliehen. Nun könnte man seitenlang darüber schwadronieren, welchen literarischen Zweck dieser Schatten erfüllen soll. Doch das würde den Rahmen einer Rezension sprengen. Einen Schatten kann man nicht ablegen, ihm nie entkommen, er ist wandelbar, manchmal nicht sichtbar, aber immer da.
Die Familie Salz unterscheidet sich in nichts von dem anderer Familien. Zwei Weltkriege, dominante Mitglieder, die Unauffälligen, diejenigen, die Macht ausüben und diejenigen, die sie zu spüren bekommen. Sympathische und unsympathische Zeitgenossen. Menschen mit Ecken und Kanten (und Macken). Mit Marotten, die sie liebenswert machen. Und das alles präsentiert der Autor mit einer Sprache, die wirklich ausgefeilt ist, in der jedes Wort an der richtigen Stelle steht und der Leser gefordert wird, aber nicht überfordert. Hier wird fabuliert und gezeigt, der Leser mitgenommen auf eine Reise mit Protagonisten, die nicht vorgeführt werden, sondern gezeigt, und das nicht nur eindimensional. Eben mit allen Stärken und Schwächen. Der Erzähler zeigt und weiß, aber er überlässt es dem Leser, sich sein eigenes Urteil zu bilden. Ob man Lola nun mag oder nicht, sie konnte nie aus ihrer Haut, ihre Erlebnisse haben sie zeitlebens geprägt. Sie war wie ein Magnet, der die Familie zusammenhielt. Möchte man selbst erleben, was Lola erlebt hat? Schüttelt man nicht unweigerlich den Kopf über Avaline, ihrer Tochter? Missbilligt man nicht das Verhalten des Herrn Salz? Kennen wir nicht alle in unseren Familien solche Unikate? Gut, nun ist Literatur nicht das Leben und das Leben keine Literatur. Aber Literatur, gute Literatur, soll zeigen, soll beschreiben, und das gelingt Christopher Kloeble ganz hervorragend. So macht Lesen Spaß und man ist enttäuscht, wenn man dann auf der letzten Seite angelangt ist.
Er nimmt sich immer einen kleinen zeitlichen Rahmen vor, in dem ein Mitglied der Familie im scheinbaren Vordergrund steht. Aber gleichzeitig spannt er einen großen zeitlichen und geschichtlichen Rahmen. Der erste und der zweite Weltkrieg und die unmittelbare Zeit danach, das westdeutsche Wirtschaftswunder, die deutsche Vereinigung und 25 Jahre danach. Immer wieder ändern sich die Zeiten, aber die Familienmitglieder bleiben, wie sie sind. Ach, einfach selbst lesen und abtauchen in diesem fantastischen Roman. Er unterhält aufs Beste, auch wenn das manch einer nicht hören möchte. Literatur und Unterhaltung mag für manch einen nicht zusammenpassen. Aber hier passt es. Auch wenn diesem Buch immer noch eine gewisse unterschwellige deutsche Schwere anhaften mag, so ist dieser Roman nicht so typisch deutsch. Er ist ernsthaft genug, aber auch unterhaltsam. Der Roman mag polarisieren, aber mich hat er überzeugt.
„Ich glaubte, eine so schwierige wie offensichtliche Lektion gelernt zu haben: Niemand will hören, was niemand hören will.“