Eine spezielle Familie mit und ohne Schatten

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tochteralice Avatar

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Die Familie Salz, eine Familie, die wir über ein ganzes Jahrhundert - vom Anfang des 20. bis hinein ins 21. Jahrhundert - begleiten dürfen, beinhaltet eine sehr spezifische Mischung von Charakteren, man könnte fast sagen, sie können in schwarz und weiß bzw. positiv und negativ aufteilt werden.

Nun, ganz so klar ist es natürlich nicht, denn Autor Christopher Kloeble versteht sich durchaus darauf, Charaktere zu schaffen, wie sie skurriler und vielschichtiger nicht sein können, das hat er bereits in "Meistens alles sehr schnell" hinlänglich bewiesen.

Wie mit dem erwähnten Roman hat Christopher Kloeble auch mit seinem neuen Roman ein für die deutsche Literaturgeschichte höchst ungewöhnliches Werk erschaffen, das eher an angelsächsische literarische Traditionen gemahnt. Und wieder birgt die Familiengeschichte Dunkles: Lieblosigkeit, Inzest, Verlassensein, Verstoßen - aber auch Gefühle. Doch anders als im Vorgängerroman werden wir mit einer Reihe von Figuren im Wandel der Zeiten konfrontiert, die uns durch die Familiengeschichte führen, doch eine - die ist (fast) immer dabei: Lola Salz, der wir als Kind in Wien zur Zeit des 1. Weltkriegs begegnen und von der wir uns erst im 21. Jahrhundert in Leipzig wieder trennen. Sie ist so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt der Familie, wenn auch auf eine sehr spezielle - ich neige fast dazu, für diese schriftstellerische Extravaganz den Terminus "kloeblesk" zu kreieren - Art und Weise. Mir erschien sie zeitweise faszinierend, dann wieder beinahe abstoßend, stets jedoch von einer Kühle, von der die Hauptfiguren der Romane Kloebles durchdrungen zu sein scheinen.

Nicht, dass es nicht auch warmherzige Typen gibt, doch sie sind rar und tauchen eher sporadisch auf - in diesem Roman würde ich ganz klar Lolas Mutter Rosa und ihren Gatten Alfons Ervig als solche Sympathieträger titulieren. Wesentlich mehr dagegen gibt es Figuren mit vielen negativen Eigenschaften, die ich dennoch nur selten als Unsympathen reinster Couleur titulieren würde. Doch die gibt es auch, aber ich überlasse es Ihnen, sie individuell für sich zu spezifizieren und zu identifizieren. Auf jeden Fall gibt es Figuren mit und ohne Schatten - doch lesen Sie selbst.

Eine dichte, reichhaltige Geschichte, die man an einem Stück weglesen kann und die frei von Längen ist. Sprachlich hat sich Kloeble aus meiner Sicht im Vergleich zu "Meistens alles sehr schnell" klar gesteigert. Daneben verblüfft er diesmal durch gekonntes Jonglieren mit historischen Fakten und Gebäuden - neben Lola Salz gibt es nämlich eine weitere Hauptfigur in diesem Roman und zwar ein Gebäude: das Hotel Fürstenhof in Leipzig, zeitweilig im Familienbesitz der Salzens - doch lesen Sie selbst.

Wie im Vorgängerroman sind die Figuren und ihr Verhältnis zueinander auf der anderen Seite gelegentlich kühl, ja fast kaltherzig dargestellt, dann wiederum kommt überraschend Wärme durch, aber nur für eine Weile. Definitiv sollte man nicht zu zartbesaitet sein, um diesen Roman lesen und vor allen Dingen genießen zu können.

Doch es lohnt sich: In mir wurden viele Fragen und zwiespältige Gefühle hervorgerufen. Ein Buch, das spannend zu lesen war und eine mögliche Anregung für Rezipienten von Irving, den beiden Jonathans (Lethem und Safran Foer), aber auch den deutschsprachigen Autoren Herrndorf und Braslavsky (eine weitere vergleichbare weibliche Autorin ist mir nicht eingefallen - Ihnen vielleicht?) ist und ab und an gar in die fantastischen Welten lateinamerikanischer Autoren abglitt, was meine Sache nicht ist. Dennoch stellte der Roman für mich einen literarischen Höhepunkt dar- allerdings einen mit kleinen Abstrichen. Christopher Kloeble ist auf jeden Fall ein Autor, dem ich treu bleiben werde!