Gutes Konzept, aber die Umsetzung hätte vielfältiger sein können

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fraupfeffertopf Avatar

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Es ist 1969 in New York Citys Lower East Side und es hat sich die Nachricht von der Ankunft einer mystischen Frau verbreitet, einer reisenden Hellseherin. Diese behauptet, sie könne jedem sagen, an welchem Tag sie sterben werden. Die Gold Kinder - vier Kinder zwischen 7 und 14 Jahren, die sich in den Sommerferien langweilen, sammeln sämtliches Taschengeld zusammen und schleichen sich hinaus, um ihr Schicksal zu hören. Ein Treffen, das ihr Leben in den nächsten Jahrzehnten bestimmt. Das Buch ist in vier Abschnitte aufgeteilt und mit einem Anteil von etwa 25% für jede Figur gut ausbalanciert und ich bin mir sicher, dass jede(r) eine Geschichte der Geschwister bevorzugen wird.

Die Unsterblichen ist eines dieser Bücher, in denen ich das Konzept sehr mochte, aber mit der Umsetzung hadere und ich nicht genau benennen kann, wieso. Ein Teil wird wohl dazu beigetragen haben, dass ich keinen Einstieg in das Leben der Geschwister fand und diese unnahbar blieben. Keiner der Golds war mir so richtig sympathisch und dass sie in ihrem Handeln einander sehr ähnlich waren, führte leider zu wenig Abwechslung für die einzelnen Charaktere und ihre Abschnitte. Ihre Handlungen waren oft nicht nachvollziehbar, die von resignativ bis emotional-impulsiv wechselten, wobei insbesondere letztere dann zu ihrem vorausgesagten Schicksalstag führten. Sie ließen sich von dem Wissen und dem Glauben an ihrem Todestag leiten, sei es bewusst oder unbewusst, sodass sich dieser in Form einer selbsterfüllenden Prophezeiung tatsächlich zutrug.

Der erste Abschnitt ist Simon gewidmet. Der scheue Junge entwickelt sich nachdem er mit seiner Schwester Klara nach San Francisco ging, zu einem egoistischen, vulgären, triebgesteuerten jungen Mann, der nur Spaß sucht, ständig die Hand bei anderen in der Hose hat und dabei nicht an Konsequenzen denkt oder daran, dass er mit seinem Handeln Menschen, die ihnen lieben, verletzen könnte. Dennoch hat mich Simons Geschichte am meisten bewegt. Dies lag an dem jungen Alter, in dem er starb, aber auch an der Todesursache, die bei mehr Aufklärung hätte abgewendet werden können. Doch die Zeit war eine andere und dies wurde schockierend transportiert. In den letzten Minuten seines Lebens erklärt er Klara, dass er alles richtig gemacht hat. Denn ohne die Wahrsagerin wäre er nie von zu Hause fortgegangen, er hätte niemals seine große Liebe kennengelernt und die Liebe für das Tanzen entdeckt. Ohne sie würde er zu Hause darauf warten, dass sein Leben beginnt. Diese Worte hinterlassen eine starke Botschaft: Die einzige Zeit, in der du garantiert leben wirst, ist jetzt! Also lebe so, wie du willst!

Klara und Simon stehen sich von den Gold Geschwistern am nahsten, da sie auch recht ähnliche Persönlichkeitseigenschaften aufweisen. Sie entflohen ihrer spießigen Erziehung, ohne Plan, hinein ins freigeistige und aufregende San Francisco und verfolgen ihren Traum.
Klara, inspiriert von der Großmutter, wächst über sich hinaus, trotzt den Tod in der waghalsigen Seilkunst, will in Las Vegas groß rauskommen - und ist dann irgendwann nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ein schleichender Prozess, aus dem selbst ihr Mann und ihre Tochter sie nicht befreien können.

Abgesehen von Varyas (natürlich ethisch fragwürdigen) Studien und den wissenschaftlichen Hintergründen fand ich keine der Geschichten von Daniel und ihr interessant. Es gab auch keine große Diskussion über die Auswirkungen von Simons oder Klaras Tod auf die anderen, abgesehen von der Verbindung über polizeiliche Ermittlungen. Ich hätte mir einen etwas tieferen Einblick über die Familienmitglieder und darüber gewünscht, was sie wirklich dachten und fühlten. Den Tod Daniels habe ich zumindest, bis zur entscheidenden Szene, nicht in dieser Form kommen sehen.
Varya, die älteste der Golds, kann sich am glücklichsten schätzen, da sie am längsten lebt, doch nutzt sie ihre Zeit bzw. lebt sie wenig. Vielleicht war dies eine weitere Botschaft Benjamins, doch Vayas Geschichte waberte vor sich hin. Sie wird zu einer engagierten Forscherin mit mehr Geheimnissen, als jeder in der Familie wahrnimmt, isoliert sich selbst durch phobische Ängste vor Krankheiten und Unglück und vermeidet jegliche physische und emotionale Berührung. Ihr Finale war dann ziemlich glanzlos, doch zeigt dieser auch am Besten, dass es nie zu spät ist, von vorne zu beginnen. Wir können immer von unserer Vergangenheit und der Vergangenheit der Menschen um uns herum lernen.

Der Schreibstil war solide und leicht, aber auch hier störte mich etwas. Sexuelle Aspekte wurden inmitten von Szenen erwähnt, die nichts mit Sex zu tun hatten. Für die Beschreibung von Varya, einer 13-jährigen, wäre mir etwas anderes eingefallen, als sie einfach mit einem dunklen Haarwuchs zwischen den Beinen auszustatten. Aus der "tragenden" Rolle des Nebencharakters Eddie wurde ich ebenfalls nicht schlau. Ich fand ihn unpassend und sein Beitrag zum Verlauf der Geschichte war mir zu unglaubwürdig.

Fazit: Interesse und phasenweise Langweile haben sich die Waage gehalten. Die Idee ist gut und der Leser bleibt mit interessanten Fragen über das Leben zurück: Haben die Golds unvorsichtig gehandelt, hätten sie andere Handlungsweisen (länger) leben lassen? Bestünde die Möglichkeit, das eigene Todesdatum zu erfahren, würdest du es wissen wollen? Sollen wir in unserem Leben stets auf Nummer sicher gehen, aber dadurch vielleicht Chancen und Erfahrungen verpassen, als wenn wir vielleicht ein paar Risiken eingegangen wären?
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