Spannender Krimi mit interessanten Wendungen

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sleepwalker1303 Avatar

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Sehnsüchtig erwartet, endlich ist sie da! Mit „Die Vergessene“ hat Karin Slaughter die Fortsetzung zu „Ein Teil von ihr“ vorgelegt. Und auf was für eine Achterbahnfahrt nimmt die Autorin ihre Leserschaft mit! Fast hätte ich vergessen können, dass ich immer noch Will Trent und Sara Linton schmerzlich vermisse. Naja, fast. Aber spannend und überraschend fand ich das Buch dennoch, auch wenn es für mich näher an einem starken Krimi als an einem Thriller war. Obwohl es der 2. Teil der Serie ist, kann man ihn auch ohne Vorkenntnisse lesen, wobei sie durchaus hilfreich sind.
Aber von vorn.
1982 steht die 17jährige Emily Vaughn eigentlich kurz vor ihrem High School Abschluss. Da sie nach einer Party, bei der sie durch LSD bewusstlos wurde, schwanger ist, wird sie in dem erzkonservativen Ort in den amerikanischen Südstaaten allerdings geächtet und der Schule verwiesen. Der Vater ihres Kindes ist unbekannt, denn sie kann sich an nichts mehr erinnern. Am Abend des Abschlussballs wird sie fast zu Tode geprügelt, am Leben erhalten wird sie nur, um ihre ungeborene Tochter zu retten. 40 Jahre später bekommt ihre Mutter Drohbriefe und hat als ehemalige Bundesrichterin ein Recht auf Personenschutz durch US-Marshals. Andrea Oliver (Slaughter-Leser kennen sie aus „Ein Teil von ihr“) hat gerade erst ihre Ausbildung abgeschlossen und beginnt neben der Bewachungstätigkeit, in dem alten Mordfall zu ermitteln. Denn der Ort, in dem sie da gelandet ist, ist auch der Heimatort ihres leiblichen Vaters Clayton Marrow. Dieser sitzt seit einiger Zeit im Gefängnis und wird schnell zu Andreas Verdächtigem Nummer 1 in dem Cold Case. Rasch sieht sie sich in verworrene Ermittlungen verstrickt, die ihr viele Fragen und nur wenige Antworten präsentieren. Denn nicht nur Clayton könnte der Vater von Emilys Tochter Judith sein, sondern noch einige andere aus deren Freundeskreis. Und nicht nur der alte Todesfall stellt Andrea und ihren Kollegen Bible vor ein Rätsel. Auf einer örtlichen „Hippie“ Farm kommt es zu ungewöhnlich vielen Selbstmorden unter jungen Frauen. Der unsympathische Besitzer der Farm und sein Assistent sind keine Unbekannten – beide gehörten 1982 Emilys Clique.
Was soll ich sagen? Karin Slaughter schreibt für mich irgendwie achterbahnmäßig. Auf ein durchschnittliches Buch folgt bei ihr meistens ein wesentlich besseres. Hier stimmt es fast, denn ich fand auch „Ein Teil von ihr“ wirklich gut, „Die Vergessene“ ist meiner Meinung nach aber noch um Klassen besser. Die Geschichte beginnt und endet mit einem Paukenschlag, dazwischen mäandern spannende und eher belanglose Passagen mit einigen interessanten Wendungen. Ein konstanter Spannungsbogen wird nicht erreicht, dennoch fehlt es dem Buch nicht an Spannung und der Schluss war für mich eine wirkliche Überraschung.
Erzählt wird in zwei Zeit-Ebenen, dem „Heute“ (2022) und dem „Damals“ (1981/82), jeweils aus der Sicht eines unbeteiligten Erzählers. Heute steht Andrea im Mittelpunkt, damals Emily, beginnend mit dem Tag, an dem sie ihre Schwangerschaft feststellt. Dazwischen wird geflucht, beschimpft, S*xismus und männliche Toxizität werden zur Schau getragen – wie man es von Karin Slaughter eben kennt, allerdings wesentlich unblutiger als in vielen anderen ihrer Thriller. Das Buch ließ sich für mich flott lesen und etwa ab der Hälfte konnte ich den Schluss kaum noch erwarten, da ich endlich die Auflösung erfahren wollte. Karin Slaughters subtiler Sinn für Humor und ihr Wortwitz kommt auch in der gelungenen deutschen Übersetzung zum Tragen. Die Charaktere sind gut, wenn auch ziemlich stereotyp ausgearbeitet. Da ich Andrea schon aus „Ein Teil von ihr“ kannte, kam ich mit ihrer eigenwilligen Art gut zurecht, ihre neugefundene Zielstrebigkeit imponierte mir. Meine Favoritin war allerdings Emily, die sich trotz aller Widrigkeiten versucht, aus ihrem Leben das Beste zu machen.
Alles in allem fand ich das Buch sehr spannend und kann es daher jedem Slaughter-Fan empfehlen. 5 Sterne.