Bedrückende Spannung

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miss_cooper Avatar

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Üblicherweise weiß ich selten was mich bei einem neuen Buch erwartet und das ist ja das schöne daran. Jedes noch nicht gelesene Buch gibt mir die Chance, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu sehen und über neue unerwartete Themen nachzudenken. Die dahinfliegenden Seiten von Ellen Sandbergs Roman „Die vergessenen“ gaben mir die Möglichkeit über eine der beliebtesten Philosophischen Fragen Gedanken zu machen, die Frage nach der Moral. Aber was ist eigentlich Moral und wie definiert man sie? Für mich sind es zum einen die Wertvorgaben, Grundsätze und Normen die einen Leitfaden für das Gesellschaftliche „Miteinander“ bilden. Zum anderen die Menschlichen Handlungsprinzipien und die Beschreibung sozialer Erwartungen. Natürlich ist es schwer einen Maßstab zu finden, denn letztendlich geht es auf die Bräuche und Sitten zurück, jede Gesellschaft ordnet ihre Handlungen nunmal unterschiedlich. Doch wie agiert man gut und richtig und warum besitzen viele Menschen einfach keinen Moralischen Kompass. Was für den einen Moralisch vertretbar ist kann für jemand anderen schon wieder unmoralisch sein. Es ist also eine recht schwierige Frage, zu der es keine universelle und absolute Lösung gibt. Doch wie ich es auch drehe und wende, die Taten und Ereignisse die Ellen Sandberg in ihrem Roman beschreibt sind für mich in jedem Fall unmoralisch. „Die Vergessenen“ ist ein fiktiver Roman doch er findet seinen wahren Ursprung in der Zeit des II Weltkrieges.

Bayern 1944, die Euthanasie, also die systematische Ermordung von Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen wurde offiziell eingestellt, doch in einigen Heil- und Pflegeeinrichtungen wird sie Weiterbetrieben, abgesegnet von höchster Stelle.

„Über zweitausend Patienten hatte man von dort in die NS-Tötungsanstalten Grafeneck und in das österreichische Hartheim deportiert, wo sie ermordet wurden. Der Anstaltsleiter hatte seine Schutzbefohlenen eifach ausgeliefert.“

In einer dieser Pflegeeinrichtungen arbeitetet die junge Kathrin Mändler, ihr Wunsch ist es den Menschen die dort leben zu helfen und sie zu betreuen. Doch irgendwann dämmert ihr, das den Pfleglingen nicht geholfen wird, sondern das Gegenteil der Fall ist. Sie werden dem Hungertot überlassen, oder so lange sediert bis eine natürliche Krankheit den Tot herbeiführt. Diese Unmenschliche Prozedur kann sie mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren und obwohl sie sich bewusst ist das sie sich selbst in Gefahr begibt, sammelt sie heimlich Beweise die diese Geschehnisse bezeugen. Und die sie, sobald der Krieg ein Ende hat, gegen die Verantwortlichen einsetzten will. 68 Jahre verwahrt sie diese Akten, warum sie sie nicht öffentlich gemacht hat weiß nur Kathrin. Die allerdings, liegt auf Grund eines Schlaganfalls im Wachkoma. Doch noch jemand hat von den Akten erfahren, ihr unter Geldnot leidender Neffe Chris, als dessen Leiche im Fluss gefunden wird, macht dies auch Kathrins Nichte Vera stutzig. Was hat Chris in der Wohnung ihrer Tante gesucht und warum interessierte er sich plötzlich für Kathrins Leben. Ganz Journalistin beginnt sie Nachforschungen anzustellen und deckt einen Lebensabschnitt ihrer Tante auf, über den sie sich Jahrzehnte lang ausgeschwiegen hat. Vera immer auf den Fersen, ist Manolis Lefertis, der seine ganz eigene tragische Lebensgesichte hat, die durchzogen von Selbstzweifeln und dem Wunsch nach Gerechtigkeit ist. Manolis, ein Lautloser Problemlöser, dessen Auftrag es ist ebenfalls nach diesen Akten zu suchen. Wer sein Auftraggeber ist weiß er nicht, es ist ihm aber auch egal, er tut nur seinen Job und der ist es, dieses Dossier seinem Auftraggeber zurückzubringen.

Keine Seite die ich gelesen habe wirkt fehl oder aufgesetzt. Ihre Charaktere beschreibt sie so lebendig, das ich gar nicht anders konnte als mit ihnen zu leiden, ihre Dialoge sind harmonisch und perfekt ausgefeilt, ohne ein permanentes „er sagte“ oder „antwortete sie“. Mit einer schier unendlichen sprachlichen Eleganz, schafft es Ellen Sandberg dieses düstere Kapitel der Deutschen Geschichte auf eine emotionale und gleichzeitig ungeheuer spannenden Weise wiederzugeben.

Die ergreifendsten Geschichten werden vom Leben selbst geschrieben. Ich kann mir bei diesem Buch nicht sagen, das es nur eine erdachte Geschichte ist die so niemals geschehen würde, nein, das alles ist bereits geschehen, unwiderruflich.
„Die Vergessenen“, ist ein Roman über Gerechtigkeit, Moral und die tiefen Menschlichen Abgründe, den ich nur jedem ans Herz legen kann, auch wenn es nicht unbedingt die leichteste Kost ist. Denn es gibt nun mal Dinge die sollten niemals in Vergessenheit geraten.

„ Gerechtigkeit ist eine Illusion. Ein romantisches Ideal, das uns eingeimpft wird, um uns zu sedieren und gefügig zu machen. In Wahrheit gibt es nur ein Recht: Das Recht der Stärke. Sie allein setzt sich durch. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben.“