Faszinierender Roman

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MEINE MEINUNG
Mit „Die Verletzlichen“ hat die New Yorker Erfolgsautorin Sigrid Nunez erneut einen höchst faszinierenden Roman vorgelegt, in dem sie sich auf ihre ganz unvergleichliche Art und mit außergewöhnlichem Einfühlungsvermögen den großen und kleinen Fragen unseres Lebens widmet. Eine Vielzahl von Themen wird von der Autorin äußerst prägnant, oftmals humorvoll, selbstironisch oder auch provokant beleuchtet und reicht von der Gleichstellung der Geschlechter, über Gesellschaftskritik, psychische Erkrankungen bis hin zum Klimawandel und unsere Beziehung zu Natur und Tieren. Höchst vergnüglich sind auch ihre Seitenhiebe auf den Literaturbetrieb und die Schriftsteller.
Zeitlich ist sehr assoziativ erzählte Geschichte, die im eigentlichen Sinne gar keine richtige Handlung beinhaltet, zu Beginn der Corona-Pandemie angesiedelt. Sehr unterhaltsam setzt sie sich mit dem alltäglichen Coronawahnsinn und diversen Pandemie-Marotten der Menschen im Lockdown auseinander und gewährt uns Einblicke in eine zutiefst gestörte Gesellschaft, in der sich Klassenunterschiede nur noch mehr vertiefen. Doch auch dieser Ausnahmesituation kann man durchaus etwas Positives abgewinnen und ganz neue Seiten des Lebens für sich entdecken. Es ist zugleich ein wundervoller Roman für Literaturliebhaber mit philosophischen Reflexionen, wundervollen tiefgründigen Einsichten sowie zahllosen, gekonnt eingestreuten Literaturverweisen, die zum Innehalten und Nachdenken anregen.
Der Einstieg in den Roman ist mir zunächst aufgrund der sprunghaften, abschweifenden Erzählweise, die einem Gedankenkarussell gleicht, und den vielen Querverweisen etwas schwer gefallen. Doch die Passagen über die einsame, ältere Schriftstellerin und den jungen orientierungslosen Studienabbrecher, die zusammen in einer luxuriösen Wohnung einer gemeinsamen Freundin einen temperamentvollen Papagei namens Eureka betreuen, haben mich sehr fesseln können. Es ist zunehmend berührend, mitzuerleben, wie die beiden Fremden sich allmählich annähern, füreinander sorgen und schließlich in ihrem Unglück zusammenwachsen, während draußen die Welt innehält und nichts mehr so ist, wie zuvor. Der Autorin gelingt es hervorragend, eine besondere Nähe zu uns Lesenden herzustellen, so dass es eine große Bereicherung ist, an ihren aufschlussreichen Gedanken über Tiere und das menschliche Verhalten, über Moral und die Unwägbarkeiten des Lebens aber auch über die Kunst des Schreibens selbst teilzuhaben.

FAZIT
Ein warmherzig erzählter Roman über die verschiedenen Facetten von Mitgefühl, Nähe und Zuneigung in außergewöhnlichen Zeiten!
Eine kurzweilige, aber anspruchsvolle Lektüre, die zum Nachdenken anregt!