Literarische Erinnerungen an die Pandemie

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takabayashi Avatar

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Sigrid Nunez' flüssiger Schreibstil hat mich von Anfang an wieder in seinen Bann gezogen, aber ich war zuerst doch etwas irritiert: ein richtiger Roman ist das eigentlich nicht, denn es gibt auch keine richtige Geschichte, es ist eher eine Reflexion über die Zeit der Pandemie, eine Erinnerung daran. Ich habe öfter mal den Begriff "Stream of Consciousness" aus der Literaturwissenschaft gehört, und dieser Begriff kam mir beim Lesen in den Sinn. Vielleicht habe ich da etwas falsch verstanden, aber hier schien mir diese Bezeichnung sehr zutreffend, Sigrid Nunez' Text wirkt wie die Niederschrift von Gedankengängen, bei denen man vom Hundertsten ins Tausendste kommt, sozusagen vom Hölzchen aufs Stöckchen. Nachdem ich mich darauf eingestellt hatte, bin ich ihr bei ihren Gedankengängen sehr gern gefolgt. Die Autorin ist eine brillante Schriftstellerin, die mit Worten umzugehen weiß, und natürlich ist das nicht einfach so vor sich hin gedacht, sondern genau geplant und gespickt mit kurzen literarischen Zitaten von unterschiedlichsten Schriftstellern zum Thema "Schreiben", denn auch mit diesem Thema beschäftigt sich die Autorin.
Wie auch "Eine Feder auf dem Atem Gottes" ist dieses Buch eindeutig biographisch, die Ich-Erzählerin ist Sigrid Nunez. Ob die zentrale kleine Geschichte über das Hüten des Papageis in der Wohnung einer Freundin und das Zusammentreffen mit dem auch dort wohnenden Studenten sich tatsächlich genauso zugetragen hat oder nicht, jedenfalls ist es auch eine typische Geschichte aus der Zeit der Pandemie. Da wir alle die Pandemie erlebt haben, wird jeder ein paar Begebenheiten finden,die ihn an sein eigenes Erleben erinnern.
Ich fand das Buch sehr gut lesbar, klug und amüsant und bedaure nur, dass ich mir so wenig davon merken kann, denn es quillt über vor interessanten Denkanstößen. Wenn man sich auf diese Art Buch einlassen kann, ist es eine sehr lohnende und unterhaltsame Lektüre.