Mix aus Reflexionen und Roman

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Die Inhaltsbeschreibung täuscht etwas, sie erweckt den Eindruck, es handle sich um einen "normalen Roman". So ist es aber nicht. Das Buch beinhaltet viele - teilweise zusammenhanglose - Gedanken und Erinnerungen. Es sind Reflexionen über das Altern, das Schreiben, Gedanken über die Pandemie und wie sie uns verändert, politische und gesellschaftliche Themen. Angereichert ist all das mit Zitaten aus Büchern und Gedichten, Zitate von Schriftstellern und anderen bekannten Persönlichkeiten. Dazu kommen dann noch persönliche Erinnerungen und Alltagsbeobachtungen mit aufgeschnappten Gesprächsfetzen. Ich schätze mal, das "nicht-Handlungsbezogene" macht etwas mehr als die Hälfte des Buches aus. Die eigentliche, oben beschriebene Handlung beginnt erst auf Seite 69 (von 221).
Das hört sich sicher eigenartig an, bietet aber ein großes Lesevergnügen. Es ist in wunderbarer, poetischer Sprache wiedergegeben und so folgt man gerne den Gedanken, Erinnerungen, Assoziationen. Mal ist es humorvoll, mal nachdenklich, und immer gelingt es Nunez, positive wie negative Gefühle hervorragend zu beschreiben. Alles äußerlich sehr leicht und inhaltlich sehr schwer im Sinne von tief.
Die "eigentliche" Geschichte zeigt uns das Verhalten in einer Ausnahmesituation, die sich hier doppelt ergibt: einmal durch die Pandemie und den Lockdown, dann durch das ungeplante und auch von beiden nicht gewünschte Zusammenleben der Schriftstellerin mit dem jungen Mann. Die Ich-Erzählerin genießt zunächst das ausgestorbene New York, schreibt derzeit nicht, geht viel nach draußen (obwohl man das nicht soll) und denkt viel nach. Der Papagei Eureka fasziniert sie und sie beginnt, eine Art Beziehung zu ihm aufzubauen. Dann wird die Zweisamkeit gestört. Es passt ihr nicht, eine Art Wohngemeinschaft mit dem jungen Mann zu bilden, von dem sie weiß, dass er kürzlich in der Psychiatrie war. Ihre Freundin meint, sie habe die Abwehr nur, weil er sie unbewusst an früher erinnert, an die Jugend, an Beziehungen und Sex, und sie nun leidet, weil das für sie vorbei ist.
Es ist ein Buch über den Alltag in der Pandemie, etwas abstrahiert ist es ein Buch über Ausnahmesituationen, was sie mit uns machen und wie sich alles verändern kann, wenn man offen für andere Menschen ist.
Das Buch bietet eine Fülle an Anregungen, über bestimmte Themen nachzudenken. Für alle Literaturinteressierten sind die vielen Zitate und Informationen ein zusätzlicher Genuss.

Dieser Mix aus Reflexionen, Erinnerungen und Geschichte ist sicher nicht jedermanns Sache. Mir gefiel es, wenngleich ich mir im zweiten Teil etwas weniger davon gewünscht hätte. Ich war dann so in der Geschichte "drin", dass ich gerne ohne Abschweifungen "dringeblieben" wäre, darum habe ich es am Schluss noch von 5 auf 4 Punkte gekürzt.