Pandemie, Großstadtneurosen und Literatur

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
merkurina Avatar

Von

Einerseits ein typisches Nunez-Werk - und ich bin Fan und habe mir deswegen dieses Buch als Wunschbuch ausgesucht - andererseits hat es mich nicht ganz glücklich gemacht. Glücklich gemacht zu werden ist vielleicht auch eine komische Erwartung bei einer Autorin, die absolut nicht melancholiefrei ist, die ihre Selbstzweifel und Weltschmerzen häufig preisgibt, aber in “Der Freund” oder sogar im sterbenstraurigen “Was fehlt Dir?” gibt es Stellen, die ich tröstlich finde, überraschende, beglückende Volltreffer im Denken und Ausdenken. Das habe ich bei der Lektüre von “Die Verletzlichen” weitaus weniger verspürt.
Vielleicht ist es zu typisch Nunez, und ich unterliege einem Gewöhnungs-Effekt bei ihrem assoziativen Schreiben. Vielleicht liegt es aber auch tatsächlich an der Schwierigkeit mit der Pandemie in der Pandemie schreibend zu Rande zu kommen.
Das Buch heißt im Original “The Vulnerables” stellte ich eher zufällig und einigermaßen verblüfft fest. Dieses Wort als eingedeutschtes ist tatsächlich erst und genau in der Pandemie hierzulande zu hören gewesen. In der Übersetzung dieses Buches verdoppelt es sich in die von COVID besonders bedrohten, vulnerablen, Personen und die wesentlich allgemeiner gefasste Verletzlichkeit von Mensch und Natur. Das Buch ist gedankenreich und darin wirklich ganz typisch Nunez, philosophisch, bisweilen existenzialistisch, skeptisch und voller Sehnsucht - aber die Komposition der Teile funktioniert dieses Mal irgendwie nicht ganz.
All dies korrespondiert mit dem in meinen Augen völlig mißlungenen Cover: Was soll das sein, ein Bilderrätsel? Eine grafisch verunglückte Allegorie? Ein weiblich-rosafarbener Hortensien-Hirnschwamm auf einem anmontierten umgekehrten Papageienhals, dessen Penisanspielung kaum wegzuleugnen ist?