Spurensuche zwischen Liebe, Verlust und Schweigen

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Schon das Zitat im Vorsatz, von Karl Georg, dem Großvater der Autorin, ließ mich innehalten:

„Vielleicht ist es so, dass die Träume in den Saum hinter den Dingen wandern und von dort unerkannt wiederkommen und dann Namen erhalten und Leben heißen.“

Mit dieser poetischen Zeile zieht mich das Buch sofort in seinen Bann – ein leiser, intensiver Auftakt, der tief berührt.

Als ihre Großmutter Änne stirbt, beginnt Laura, den Nachlass zu sichten. Rasch stößt sie auf Ungereimtheiten in der Familiengeschichte, und immer wieder blitzt das schwierige Verhältnis zwischen ihrer Mutter Ellen und Änne auf. Schritt für Schritt treten Ungereimtheiten zutage, bis Laura gemeinsam mit ihrer Mutter an den Ort zurückkehrt, wo alles begann: den Pappelhof.

Die zweite Erzählebene führt zurück nach Schlesien im Jahr 1943. Die Familie Thomke bewirtschaftet den Pappelhof, bis der Krieg auch die entlegensten Ecken Schlesiens erreicht und alles verändert. Eindringlich beschreibt Miriam Georg das Zusammenleben mit Zwangsarbeitern, die ständige Angst vor dem Satz „Die Russen kommen“, den gescheiterten Fluchtversuch und schließlich die Enteignung. Parallel dazu entfalten sich familiäre Tragödien, allen voran die konfliktreiche Beziehung der Zwillingsschwestern Luise und Änne. Und doch dreht sich das Rad weiter, bis die Verzweiflung überhandnimmt. Man fragt sich beim Lesen immer wieder, wie viel eine Familie ertragen kann und wie schmerzhaft zu viel Liebe sein kann.

Die Autorin malt diese Szenen so lebendig, dass ich den Pappelhof klar vor mir sehe: das stattliche Gutshaus, das Rauschen der Pappeln, den Duft von Heu, das Krächzen der Raben.

Am Ende fügen sich beide Erzählstränge zu einem Ganzen, das den Atem stocken lässt. Der Kreis schließt sich, für einige leider zu spät. Was ans Licht kommt, verändert den Blick auf alles und lässt es in einem neuen Licht erscheinen.

Die Verlorene ist eine zutiefst berührende Suche nach den eigenen Wurzeln und der Vergangenheit. Die Mauer des Schweigens muss fallen, um die eigene Familiengeschichte, und damit sich selbst zu verstehen.

Nicht umsonst zählt Miriam Georg zu meinen liebsten Autorinnen: Ihr unverkennbarer Flow, ihre feinsinnige Sprache und das fesselnde Porträt einer Generation, deren Traumata bis heute nachwirken, machen diesen Roman zu einem besonderen Leseerlebnis. Dieses Buch zeigt, dass Aufarbeitung notwendig ist und dass auch schmerzhafte
Erinnerungen einen Platz brauchen. Ein Buch, das bleibt!