Eine Gifte mischende Apothekerin im 18. Jahrhundert und eine Hobby-Historikerin, die ihre Geheimnisse entdeckt

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alekto Avatar

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Nella Clavinger führt Ende des 18. Jahrhunderts eine Apotheke in London, die so gut versteckt ist, dass nur Eingeweihte sie finden können. Diese Apotheke hat Nella von ihrer früh verstorbenen Mutter geerbt, deren Bestand an Tinkturen, Salben und Tees speziell auf die Beschwerden von Frauen zugeschnitten gewesen ist, da sie in ihrer Apotheke nur Frauen behandelt hat. Nella hat dieses Sortiment - geprägt von ihren eigenen schlimmen Erfahrungen mit einem Mann namens Frederick, der ihr Vertrauen ausgenutzt und sie betrogen hat - um Gifte erweitert. Denn sie hilft den Frauen, die keinen anderen Ausweg sehen, als sich mit Hilfe von Nellas Wissen um giftige Kräuter, Pflanzen oder Tiere, die einen natürlichen Tod nahelegen, von ihren sie misshandelnden Vätern, Brüdern, Ehemännern oder Söhnen zu befreien. Nellas neueste und jüngste Kundin ist Eliza Fanning, die von ihrer Herrin geschickt wurde, Gift zu besorgen, dass ihren Herrn beim Frühstück töten soll. Doch welche Herrin schickt ein erst zwölf Jahre altes Kind mit so einem Auftrag in Nellas gut verborgene Apotheke?

"Die versteckte Apotheke" wird abwechslungsreich von Sarah Penner auf zwei Zeitebenen erzählt, wobei sich der Roman insgesamt nur über einen Zeitraum von wenigen Tagen im Februar 1791 bzw. in der Gegenwart erstreckt. Die Ereignisse werden aus verschiedenen Perspektiven geschildert, die neben der Sicht von Apothekerin Nella und der jungen Eliza Ende des 18. Jahrhunderts auch die von Caroline Parcewell in der Gegenwart umfassen.
Caroline ist anlässlich ihres zehnjährigen Hochzeitstags in London. Doch da sie kurz vor der Abreise herausgefunden hat, dass ihr Mann James sie mit einer Kollegin betrogen hat, ist sie nun allein in London und macht sich aufgrund ihrer ausbleibenden Periode Sorgen schwanger zu sein. Caroline, die einst Geschichte studiert hat, hat ihre eigenen Träume aufgegeben, als ihr Mann eine Stelle in Ohio bekommen hat. Damit er sich auf seine Karriere konzentrieren kann, arbeitet sie im Betrieb ihrer Eltern, was ihr ein sicheres Einkommen garantiert.

Die erste Hälfte des Romans, in der ich viele Entwicklungen bereits zuvor habe kommen sehen, ist für mich durch die detailverliebten Beschreibungen von Sarah Penner geprägt gewesen, die London im Jahre 1791 vor meinem inneren Auge haben lebendig werden lassen. So konnte ich mir die Straßen Londons, auf die eine Karte zu Beginn des Romans einstimmt, aber auch das Haus, in dem Eliza angestellt ist, und besonders das kleine, geheime Apothekenzimmer von Nella gut vorstellen. Faszinierend ist es für mich gewesen diese versteckte Apotheke durch die staunenden Kinderaugen von Eliza zu erkunden. Da Eliza ein so ein aufgewecktes und wissbegieriges Mädchen ist, hat sie sich von ihrer Neugierde hinreißen lassen. Indem sie ihre Furcht vor den Giften beiseite geschoben hat, konnte sie all die Fragen stellen, die sie zu den sonderbaren Substanzen, Pulvern und Tinkturen von Nella hatte, die sich in verschiedenen Gläsern und Tiegeln verbargen, und das neu gewonnene Wissen wie ein Schwamm aufsaugen.
In den Kapiteln, die die Gegenwart betreffen, lebt die erste Hälfte der versteckten Apotheke von Carolines wiederentdeckter Begeisterung für Geschichte. Caroline, die einen Bachelor in Geschichte hat, wollte sich eigentlich für das Master Programm in Cambridge bewerben, bevor ihr die Karrierepläne von James einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Doch als Caroline allein in London ist, um Abstand zu James und Zeit für sich zu haben, findet sie beim Mudlarking ein kleines, altes Apothekerglasfläschchen, auf dem ein Bär abgebildet ist, und entdeckt ihre alte Leidenschaft wieder, wenn sie ihre Recherchen in der British Library startet und dort u.a. alte Karten studiert. Beim Mudlarking wird bei niedrigem Wasserstand der Themse im Schlamm nach historischen Artefakten gesucht. Aber da der Schlamm der Themse nicht umgegraben werden darf und so nur gefunden werden kann, was an der Oberfläche sichtbar ist, gleicht die Suche eher einem Glücksspiel und hat einen Hauch von Schicksal.
Die zweite Hälfte des Romans, in der das Erzähltempo von Sarah Penner deutlich angezogen wurde, hat mich dann mit ihren überraschenden Wendungen im 18. Jahrhundert und unerwarteten Entwicklungen in der Gegenwart überzeugt. Dabei sind die Wechsel zwischen den Zeitebenen so geschickt gewählt, dass in der Gegenwart keine Ereignisse der Vergangenheit vorweg genommen werden.

Stark sind die Szenen, in denen Sarah Penner beschreibt, wie Frauen unter ihren Männern zu leiden haben. Elizas Erlebnisse, die ihre Herrin und sie zu einem Mord treiben, sind durch ihr junges Alter und die dadurch bedingte unschuldige Naivität umso bedrückender. Auch die Geschichten der anderen Frauen, die Hilfe bei der Gifte mischenden Apothekerin Nella suchen, sind oft nicht weniger tragisch als Elizas oder ihre eigene. Intensiv schildert die Autorin, wie Nella hintergangen und in welcher Weise ihr geschadet wurde, als ihr Vertrauen missbraucht wurde. Und Nella erkannte, dass all diesen Geschichten gemein ist, dass sie stets mit dem Vertrauen einer Frau in einen Mann beginnen und nie gut enden. Aber das den Frauen durch Männern zugefügte Leid beschränkt sich nicht auf das 18. Jahrhundert, sondern erstreckt sich bis in die Gegenwart.
In diesem Zusammenhang hat mir die Entwicklung, die Caroline in diesem Roman durchläuft, besonders gut gefallen. Zu Beginn wirkte Caroline gerade im Vergleich zur durch Gift mordenden, Männer strafenden Apothekerin Nella sowie zur aufgeweckten Sympathieträgerin Eliza ein wenig blass. Da stand sie zu sehr im Schatten ihres Ehemanns James, von dem sie sich ihr Leben diktieren ließ. Sie hat ihre Träume aufgegeben, um Zuhause die Frau zu sein, die James haben wollte, und sonst im Betrieb ihrer Familie einer Arbeit nachzugehen, die sie nicht mochte, aber den Vorstellungen von James entsprach. So habe ich Carolines Entwicklung vom Charakter, der kaum als eigenständiges Individuum wahrzunehmen gewesen ist, hin zu der Frau, die wieder zu sich findet und für sich selbst einsteht, indem sie ihre beiseite geschobenen Interessen und vergessenen Leidenschaften wiederentdeckt, als beachtlich empfunden.

Von mir gibt es eine uneingeschränkte Empfehlung für die versteckte Apotheke, die mich als wunderbar geschriebener, dicht erzählter Roman voller detailverliebter Beschreibungen, die sich dem Leben normaler Menschen im Londons des 18. Jahrhunderts und einer besonderen Apothekerin und Giftmischerin widmen, überzeugt hat. Als historischer Roman, der vom alten Apothekenschwur eingeleitet wird, wird dieser abgerundet von einem Nachwort der Autorin zur historischen Einordnung von Giftmorden, einer Auflistung giftiger Pflanzen (samt Anwendungshinweisen) und einer Auswahl an Rezepten von Hausmitteln. Zudem liest sich dieser Roman für mich als starkes Plädoyer an jede Frau, Vertrauen in sich selbst zu haben und so mutig zu sein, seinen eigenen Weg zu gehen, um seinen Träumen zu folgen.