Prinzipiell viel Potenzial!

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selina9a Avatar

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Wäre mir "Die versteckte Apotheke" nicht durch einen glücklichen Zufall hier auf Vorablesen über den Weg gelaufen, früher oder später hätte sie einfach bei mir einziehen müssen. Bei historisch-feministischen Geschichten über Frauen auf ihrem Weg zur Selbstbestimmung werde ich einfach schwach. Und das ganze dann auch noch in Kombination mit einem so einem Schmuckstück von Cover? Da kann ja wirklich niemand „Nein“ sagen.
Doch um ehrlich zu sein, so ganz hundertprozentig „JA!“ sagen konnte ich irgendwie auch nicht. Zu den Gründen komme ich noch, jetzt bleiben wir erstmal beim Positiven, davon gab es nämlich jede Menge.


Ich mochte das Konzept.
Eine Apothekerin im 18. Jahrhundert, die ihr Leben so vollkommen der Hilfe und Rettung von Frauen verschrieben hat, dass sie auch nicht vom Mord an deren Unterdrückern zurückschreckt? Das Ganze verknüpft mit einer Frau aus der Gegenwart, die die Geheimnisse der Apothekerin aufspürt, dabei jedoch selbst vor Problemen davonläuft – Probleme, die sich im Lauf der Geschichte offenbar kaum verändert haben? In meinen Augen eine Idee mit unglaublich viel Potenzial.

Ich mochte die zentralen Themen Feminismus und Emanzipation.
Nellas Bestreben, Frauen Macht zu verleihen in einer Gesellschaft, die gegen uns war, Frauen eine Stimme zu geben zu einer Zeit, in der wir einfach nicht gehört wurden, ist bewundernswert und hat mich zutiefst berührt.
Ich mochte die teils unerwarteten Freundschaften. Was ursprünglich als Zweckgemeinschaft gedacht war – sowohl bei Eliza und Nella als auch bei Caroline und Gaynor – wurde bald zu echtem, ehrlichem Interesse. Interesse zwischen Frauen, die erkannt haben, dass es das Beste für uns alle ist, wenn wir uns unterstützen. Denn wenn wir uns gegenseitig nicht helfen, wer soll es dann tun?

Zu guter Letzt mochte ich die moralische Grauzone, in der sich Nella und ihre Kundinnen befinden.
Nella bringt Männer um. Zahlreich. Sie ist eine Serienmörderin, wie es im Buche steht. Dennoch hat sie nur die besten Absichten: Sie möchte Frauen helfen, sie möchte sie retten, indem sie ihnen einen Ausweg aus sonst ausweglosen Situationen bietet. Ist das zu rechtfertigen? Meiner Meinung nach definitiv. Aber letztendlich muss das wohl jeder für sich selbst entscheiden.


Nun zu dem, was mich nicht überzeugen konnte: Der Spannungsaufbau.
Fast das gesamte Buch verlief dermaßen flach, dass – bis auf die letzten 50 Seiten – so gut wie keine Spannung aufkam. Ein paar Situationen hätten potenziell spannend werden können, wurden jedoch dermaßen schnell wieder entspannt, dass sich jegliche Aufregung sofort wieder im Sande verlief. Zudem gelang es mir leider nicht wirklich, eine Bindung zu den Charakteren aufzubauen. Klar waren mir die drei Protagonistinnen weitestgehend sympathisch – aber eben auch nicht mehr. Letztendlich hatte ich den Eindruck, dass ich zwar interessiert war, aber nicht wirklich investiert. Ein bisschen mehr Augenmerk auf die Figurengestaltung zu legen, hätte der Geschichte meines Erachtens nach wirklich gut getan.


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mich die Grundideen absolut angesprochen haben, nur die Umsetzung scheint noch nicht ganz ausgereift. Bei einem solch aufwühlenden Thema hätte ich mir einfach mehr Emotion erhofft. Trotzdem ist „Die versteckte Apotheke“ eine nette Lektüre für zwischendurch und für all diejenigen eine klare Leseempfehlung, die es etwas ruhiger und distanzierter mögen. 😊