Die Unfehlbarkeit des Gesetzes und die eigene Moral

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vica Avatar

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Frank Petersen lebt für seinen Beruf als Strafrichter und hält seine Urteile für unfehlbar. Bei der Urteilsfindung verlässt er sich immer auf die Gesetze, Emotionen und Grauzonen sind für ihn hierbei weniger wichtig. So ist es auch bei dem aktuellsten Fall, bei dem man eigentlich meinen sollte, er könne die Urteilsfindung nicht durchführen, da er als befangen gelten könnte, aber er urteilt trotzdem. Dieses Urteil bringt sein Leben ins Schleudern. Ehefrau und Sohn wenden sich ab, da beide mit dem Urteil gar nicht einverstanden sind. Die Ehefrau wirft ihm vor, voreingenommen und selbstverliebt zu sein, sich für unfehlbar zu halten und eigene Fehler nicht anzuerkennen. Der Wille, sich mit dem eigenen Ich zu beschäftigen ist nicht vorhanden, eher nimmt er größten Abstand hierzu.
Seitdem er allein in seinem Haus sitzt und versucht, sich mit Renovierung abzulenken, hadert er, ob er die richtigen Entscheidungen in seinen Verfahren trifft, immer mehr Zweifel und Verunsicherung treten in ihm auf. Seine Urteile werden von dem BGH immer öfter gekippt und er fühlt sich nicht mehr in der Lage, Urteile entsprechend der Rechtsprechung zu fällen. Er ist schon kurz davor, seinen Beruf an den Nagel zu hängen, als er erfährt, dass Corinna Maier aus dem Gefängnis entlassen werden soll. Die Frau, die den Wendepunkt in Petersens unfehlbarer Karriere darstellt.
Besonders ihr Strafverfahren vor vier Jahren nagt an ihm. Es ist ein Verfahren, in dem ihm zum Teil bis heute die Beweggründe der Beteiligten verborgen geblieben, aber dennoch in seinen Gedanken präsent sind. Corinna Maier erschoss den Mörder ihres Sohnes am letzten Verhandlungstag im Gerichtssaal. Wie es überhaupt zu dieser verhängnisvollen Situation kam, erfährt man durch die beiden Zeitebenen, in denen das Buch spielt. Die eine handelt von Petersen und seiner erzwungenen Suche nach sich selbst und dem Sinn seiner Berufung sowie einer Lösung, seine Familie zu retten und die andere vom sorgenvollen Leben von Corinna Maier, die einiges durchmachen musste, wodurch sie sich zur Selbstjustiz gezwungen sah. Petersen sucht sie auf, weil ihm ein Gespräch mit ihr wichtig erscheint. Er hat die Hoffnung, besser verstehen zu können, was damals geschah und seine persönliche Krise damit wieder zu beheben.
Nüchtern und sachlich in der Sprache schildert der Autor das Leben der beiden Protagonisten und greift die Themen Moral und Gerechtigkeit sowie Rassismus auf, letzteres wird durch echte Fälle von der reinen Fiktion befreit. Auch wenn die Gedankengänge von Petersen und seiner Frau und von Corinna Maier zunächst Unverständnis hervorrufen, lernt man aber im Verlaufe des Buches, ihre Gedankengänge nachzuvollziehen und fühlt teilweise mit ihnen.
Dieses Buch war nicht einfach nur eine bewegende und interessante Lektüre, sondern durchbricht auch den Glauben, dass Richter stets dem Gesetz unterworfen sind und demnach handeln. Andererseits kommt man hier zur Erkenntnis, dass das Gesetz womöglich gar nicht eins zu eins auf jeden Fall anwendbar ist, wird doch jeder Fall von eigener Moral und Überzeugung, aber auch Politik, Religion und Gesellschaft beeinflusst. Alles in allem kann ich hier eine klare Leseempfehlung abgeben.