Hier geht es nicht um Recht, sondern ums Rechthaben

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waschbaerprinzessin Avatar

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Wenn ein Rechtsanwalt einen von zwei realen Rechtsfällen inspirierten Roman schreibt, in dem es um „Die Wahrheit der Dinge“ und die Grenzen von Schuld und Gerechtigkeit gehen soll, erwarte ich eine intensive Auseinandersetzung mit den Fällen und eine spannende moralische Diskussion, in der es keine einfachen Antworten gibt. Stattdessen steht in Markus Thieles Roman ein Strafrichter im Mittelpunkt, der von Frau und Sohn verlassen wurde und sich nun auf die Suche nach der Bestätigung begibt, dass er eigentlich doch immer recht hat. Der Grund für Frank Petersens Auseinandersetzung mit seiner Familie ist sein Urteil im Fall Korkmaz, das gerade beim Bundesgerichtshof liegt, was stark an Petersens Rechthaber-Ehre kratzt. Das Korkmaz-Urteil wird immer wieder erwähnt, aber man muss sich bis Seite 180 (von 240) gedulden, bis man erfährt, um welche Straftat es dabei eigentlich geht. Petersens Entscheidung wird dabei auch nicht ausführlich diskutiert, denn im Großen und Ganzen geht es ihm einfach nur darum, dass er richtig gehandelt hat und alle anderen dies einfach nicht einsehen wollen. Mir ist Petersen mit seiner unerschütterlichen Überzeugung von sich selbst ziemlich unsympathisch und es macht mir keinen Spaß, mich beim Lesen in seine Gedankenwelt zu vertiefen. Leider geht es viel mehr um ihn selbst, seine Befindlichkeiten und die Sehnsucht nach seiner Frau als um seine umstrittenen Rechtssprüche.

Was an „Die Wahrheit der Dinge“ jedoch lesenswert ist, ist die Geschichte von Corinna Maier, die sich während ihres Medizinstudiums in einen südafrikanischen Doktoranden verliebt (dem der Autor leider ein fürchterliches Denglisch verpasst hat) und daraufhin eine Reihe Schicksalsschläge erleidet, die schließlich dazu führen, dass sie in Petersens Gerichtssaal einen Mann erschießt. Während ich eher mit Petersens Frau Britta übereinstimme, dass seine Probleme mit seinem Egoismus, seiner Arroganz und seiner Unfähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen, zusammenhängen, sieht der Strafrichter den Ursprung seiner Lebenskrise in diesem Vorfall und macht sich auf den Weg, Corinna am Tag ihrer Entlassung aus dem Gefängnis abzuholen, damit sie ihm die Frage nach dem Sinn seines Lebens beantworten und sein Weltbild geraderücken kann. Generell scheinen alle anderen Figuren nur dazu da zu sein, um Petersen bei seiner Selbstfindung zu helfen. Auch wenn ich Thieles Schreibstil ansonsten als angenehm und flüssig zu lesen empfunden habe und es ihm gelingt, die Atmosphäre gut einzufangen und fühlbar zu machen, haben mich die Dialoge häufig gestört. Selten gehen die Figuren auf die Fragen ein, die sie einander gestellt haben, sondern geben andauernd rätselhaft anmutende kalenderspruchartige Lebensweisheiten von sich.

Ganz nach dem Motto: „Da wo ich herkomme, haben wir ein Sprichwort.“ Herkunft ist eines der zentralen Themen des Romans. Zumindest verspricht der Klappentext tiefgründige Beschäftigung mit Vorurteilen und Fremdenhass. Themen, die sich anhand von Corinna Maiers Geschichte auf erschütternde Weise beleuchten lassen, die ich aber in Bezug auf den weißen Strafrichter Petersen als nicht ganz so gelungen umgesetzt empfinde. Er sieht sich selbst als nicht-fremdenfeindlich an, weil er sich nach dem Gesetzbuch richtet, egal, wer auf der Anklagebank sitzt. Seine Vorurteile überwindet er, indem er feststellt, dass eine türkische Köchin ausgesprochen gute Pfannkuchen zubereiten kann („Pfannkuchen – der Inbegriff norddeutscher Gemütlichkeit, serviert von einer Türkin!“), und ihren Mann dazu überredet, mit ihm Schnaps zu trinken, mit dem Argument, dass Allah dies im Dunkeln nicht mitbekomme. Auch der türkische Pensionsbesitzer hat hier kaum eine andere Funktion, als Petersen dessen Sorgen an den Augen abzulesen, ein offenes Ohr dafür zu haben und ihm noch ein paar rätselhafte Weisheiten und eine Flasche Raki mit auf den Weg zu geben.

Da ich ganz andere Erwartungen an „Die Wahrheit der Dinge“ hatte, hat mich Markus Thieles Roman leider etwas enttäuscht. Die Midlife-Crisis eines arroganten Strafrichters und dessen Suche nach Selbstbestätigung hat mich so gar nicht interessiert. Corinna Maier hingegen ist eine interessante Protagonistin mit einer bewegenden Lebensgeschichte. Die Abschnitte, in denen sie im Fokus steht, werten den Roman deutlich auf.