Philosophische Fragen und Gesellschaftskritik im Mantel eines exzellenten Romans

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gaudbretonne Avatar

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Dieser philosophische Roman vor der Kulisse des deutschen Rechtsstaates thematisiert den Konflikt „Moral vs. Recht“ bzw. „Wo liegt die Wahrheit? Die Schuld? Die Gerechtigkeit?“ und streift dabei viele weitere Aspekte der berechtigten Gesellschaftskritik (Fremdenhass, Rassismus im Handeln und Denken).

Ausgangspunkt der Geschichte ist der Gemütszustand des engagierten Strafrichters Frank Petersen, dessen Motto es ist, dass ein Richter niemals aus einer Motivation heraus entscheiden darf, die nichts mit dem Gesetz zu tun hat. Er ist also absolut überzeugt, dass das Gesetzbuch das einzige Maß darstellen darf und davon bringt ihn bis dato niemand ab.

Daher zeigt er sich auch tief getroffen, dass einige seiner Urteile vom Bundesgerichtshof revidiert wurden. Als wieder ein strittiges Urteil im Raum steht und sich wegen seiner Rechtsprechung auch seine Familie zurückzieht und damit seine Ehe und seine Beziehung zu seinem 19jährigen Sohn zu scheitern droht, beginnt er zu zweifeln und sieht den Ursprung in einem früheren Urteil. Er begibt sich auf eine Reise, die ihn sowohl zu sich selbst als auch in die Vergangenheit führt.

Hierbei widerfährt dem Leser Spannung auf mehreren Ebenen: So stellt sich durchgängig die Frage, welche Schuld der Protagonist auf sich geladen haben könnte, dass er mit dem Gedanken spielt, seinen Job an den Nagel zu hängen. Und warum setzt er seine Familie auf das Spiel?

Ganz „en passant“ werden dabei philosophische Fragen nach der Wahrheit, der Schuld und der Zeit abgehandelt. Dies funktioniert so gut, da die aktuelle Handlung immer wieder durch Rückblenden sowohl aus Sicht Petersens als auch aus der Sicht der Angeklagten in dem „Ursprungsprozess“ ergänzt wird. An literarischer Qualität gewinnt der Roman nicht nur durch eine unglaublich präzise und dennoch sensible Sprachgestaltung („Kehrt die Freiheit irgendwann zurück? Dieses Gefühl nicht mehr ersticken zu müssen? […]“ „Ich weiß es nicht“, sagt er. „Ich ersticke gerade erst“.), sondern auch durch die vielen (Selbst-)Reflexionen zum Thema „moralisches Handeln“. Als Beispiel sei hier der intertextuelle Bezug mit Max Frischs „Homo Faber“ genannt, mit dem sich der Strafrichter zeitweise vergleicht.

Autor dieses im positiven Sinne anspruchsvollen Romans ist der Jurist Markus Thiele, dessen Grundlage für diesen Text zwei real existierende Prozesse darstellen. In einem Disclaimer unterstreicht er - neben dem Unterhaltungsfaktor - seine Intention „der öffentlichen Kritik und Diskussion von [….] für die Gesellschaft wichtigen Themen“ . Gemessen an seinem eigenen Anspruch ist ihm dies mit der Geschichte um den zweifelnden Strafrichter Petersen gelungen. Auch daher fällt mir das Urteil „überaus lesenswert“ leicht.