sprachlich und psychologisch gelungener innerer Monolog über ein Mutter-Tochter-Verhältnis

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Johanna kehrt nach über 30 Jahren in den USA in die norwegische Heimat zurück – mit Ende 50 muss sie sich eingestehen, dass ihr der Kontaktabbruch zur Familie – insbesondere zur Mutter – nach all der Zeit doch noch zu schaffen macht. In ihr drängt etwas nach einem Gespräch (nach Versöhnung?) mit der Mutter, und so versucht sie, Kontakt aufzunehmen. Was die Mutter verweigert. Da Johanna nicht aufgibt, mündet die Situation in eine Art Stalking.
Mein erster Eindruck von „Die Wahrheiten meiner Mutter“ war ausgesprochen positiv. Die Autorin hat eine bewundernswerte Gabe, die Gefühle und Befindlichkeiten der Ich-Erzählerin Johanna auszudrücken und für die Leserin nachvollziehbar zu machen. Die inneren Monologe von Johanna, ihre Gedankengänge und Zweifel, ihre Bedürfnisse und emotionalen Reaktionen kamen mir zunächst nah.
Doch ich wartete stets darauf, dass einmal etwas Relevantes passieren würde (also Handlung), dass sich etwas verändern würde oder dass ich irgendwann die Perspektive der Mutter kennenlernen würde. Leider bleibt die Erzählung strikt bei Johannas Perspektive und ihren Gedanken über das Verhältnis von Mutter und Tochter. Ein Bewusstseinsstrom, dem man hier beiwohnt und der mich schließlich langweilte, weil das immer selbe wiedergekäut wird. Erst ganz am Schluss „passiert“ etwas und es findet ein Entwicklungsschritt statt.
Bis dahin braucht es Geduld und die Freude an guter Sprache und psychologischem Feingefühl.
Ich persönlich hätte mir mehr Handlung und unterschiedliche Perspektiven auf die verfahrene Familiensituation gewünscht. Auch müsste das Buch meiner Meinung nach eher „Die Wahrheiten einer Tochter“ heißen, denn da alles aus Johannas Perspektive erzählt wird, sind es eben auch nur ihre Wahrheiten.