Weil Weihnachten alleine nicht alle Wunden heilt,...

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elke seifried Avatar

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„Lieber einsilbig bleiben. Genau wie alle anderen. Um zu verhindern, dass die anderen sie in Gedanken vernichteten, um sich selbst aufzubauen.“

Weihnachten zu Hause! Auch wenn sich ein jeder ein schönes besinnliches und vor allem friedliches Fest im Kreis der Familie, die Verbundenheit ausstrahlt, wünscht, reisen alle drei Geschwister mit ihren Kindern und Partnern mit gemischten Gefühlen bei ihren Eltern an.

Als Leser lernt man zunächst Tamara kennen und hat schon auf dem Beifahrersitz bei der Hinfahrt Mitleid mit ihr, weil sie sich in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter völlig allein und unverstanden fühlt. Dieses Mitleid schlägt dann allerdings relativ schnell in Entsetzen um, wenn man miterleben darf, welch gemeine Spitzen sie austeilen kann, nachdem auch Elisabeth und Ingmar mit ihren Familien anwesend sind. Ein Wort ergibt das andere, ein jeder denkt, dass die anderen schlecht über einen denken und die offenen Anfeindungen nehmen zu. Diese Auseinandersetzungen darf man miterleben, bekommt die Perspektive der unterschiedlichen Geschwister, teilweise auch von anderen Familienmitgliedern, geboten und nach einer Nacht im Hotel wird ein gemeinsamer Heiligabend verbracht, für den sich die Eltern eine ganz besondere Überraschung einfallen haben lassen.

Ich bin sehr hin und hergerissen in meiner Meinung zu diesem Roman. Mir hat der Anfang unheimlich gut gefallen. Der Autorin gelingt es ganz vorzüglich die Gefühle der einzelnen Betroffenen darzustellen. Ihre Sorgen, ihre Ängste, ihre Hoffnungen werden real erlebbar und man fühlt und leidet mit ihnen mit. Begeistert hat mich auch der treffende, pointierte Sprachstil, der alles mit spitzer Zunge, teilweise auch sehr provokant, auf den Punkt bringt. „Und seine humorlose Frau mit diesem kinnlangen Bob verzog auch keine Miene, sondern bemerkte nur wohlerzogen: >Schön, dich zu sehen, Tamara< Wobei sie sich nicht einmal Mühe gab, dass es irgendwie glaubhaft klang.“ Die Autorin vermag es sich gekonnt auszudrücken, gar keine Frage. Allerdings ist die Begeisterung dann etwas gekippt, als die Weihnachtsüberraschung der Eltern präsentiert wird. Dazu muss ich als erstes schon einmal die Buchbeschreibung kritisieren, die meiner Meinung nach viel zu viel verrät. Wenn man ja schon weiß, dass sich die Eltern aus dem Staub machen, damit die Kinder ihre Reibereien klären, nimmt das der gemeinsamen Sorge und Suche der Geschwister viel zu viel an Dramatik und Spannung. Zudem empfand ich, dass das Zusammenfinden der drei und das scheinbare Happy End einem dann ein wenig vor die Füße geworfen wird, vor allem, weil vorher ja alles so gut beschrieben, gut nachfühlbar ist. Da hätte mir ein wenig mehr Drumherum, etwas mehr dazu wie sie sich aussöhnen, gefehlt.

Die Figurenzeichnung der Autorin hat mir super gut gefallen. Tamaras Enttäuschung vom Leben ist mehr als deutlich zu spüren. Sätze wie, „Tamara hatte es aufgegeben, mit ihm ein vernünftiges Gespräch zu führen. Auch, wenn er körperlich anwesend war – der Rest von ihm war es nicht.“, wenn sie ihren Ehemann Quirin betrachtet oder ein Sinnieren der Art „Er gehörte in das ursprünglich für sie vorgesehene Leben, das leider recht früh eine falsche Abzweigung genommen hatte und seitdem parallel zu ihrem tatsächlichen Leben verlief, ohne dass Tamara dabei war! Warum konnte sie nicht einfach hinüberwechseln auf die richtige Spur und endlich ihre echtes, einzig passgenaues Leben führen?“, lassen hier richtig mitleiden. Besonders neidisch scheint sie auf ihre Schwester Elisabeth, die ich am meisten mochte war, zu sein, „So, wie ihre kleine Schwester das immer machte, wenn sie merkte, dass das gerade nicht mehr >ihr Leben> war? Sie wechselte einfach die Spur.“, dabei ist diese eigentlich nur der Inbegriff von Angst. „Wohin mit ihrem Bedürfnis nach Verbundenheit? Es war so einfach, Angst zu haben, nicht mehr geliebt zu werden. Das war so viel einfacher, als selbstbewusst zu sein, sich selbst zu lieben, sich anzunehmen. Sich toll zu finden. Ziemlich oft tat sie nur so. Schließlich war es unzulässig, sich mickrig zu fühlen. Das galt als sehr unattraktiv.“. Eher am Rande, ein wenig außen vor, vielleicht auch in seinem Nachhaltigkeitstrip gefangen, erschien mit der jüngste Bruder Ingmar. Er blieb mir ein bisschen fremd, aber vielleicht beteiligen sich Männer an einem solchen Familienstreit ja auch einfach anders. Sehr gut hat mir auch noch Elisabeths Tochter Marie gefallen. „ Ein Kind mit einem siebten Sinn. Sie hatte die Gabe, all die Menschen in ihrer Umgebung zu durchschauen.“

Alles in allem ein Weihnachtsroman der etwas anderen Art, der von Enttäuschungen, falschen Hoffnungen und auch unbegründeten Ängsten handelt und zeigt wie wichtig Reden und Familienzusammenhalt ist. Weil mich das Ende nicht wirklich überzeugt hat, gibt es von mir noch vier Sterne.