Mein geliebtes Berlin historisch in Szene gesetzt, auch wenn es schmerzt

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Es gibt Bücher, die öffnen sich nicht wie ein Roman, sondern wie eine alte Fotodose: ein Knacken, ein Hauch Staub, und plötzlich starrt man in eine Welt, die längst vergangen ist und doch greifbar nah wirkt. Genau so fühlte ich mich beim Lesen dieser ersten Seiten. Plötzlich stand ich in einem Berlin, das nicht leuchtet, sondern flimmert – vor Kälte, vor Hunger, vor unausgesprochenen Geschichten.

Lou Faber tritt dabei nicht einfach auf, sie taucht auf, wie ein Schatten, der erst durch das Klicken ihrer Kamera Konturen bekommt. Diese junge Fotografin bewegt sich durch die Ruinen, als wären sie ein düsteres Labor, in dem Bilder entwickelt und Wahrheiten belichtet werden. Ihre Leica ist ihr drittes Auge – und ich liebe Figuren, die ihre Welt nicht erobern, sondern beobachten, bis sie jede Schicht freigelegt haben.

Und dann diese Szene im Schnee: kein dramatisches Aufschreien, kein Spektakel. Nur Stille, die sich wie ein Tuch über alles legt, und Lou, die plötzlich begreift, was dort liegt. Es ist diese Art von Spannung, die ich besonders mag: die leise, die man fast überhört und deshalb umso stärker spürt.

Kommissar König wiederum wirkt, als hätte ihn die Stadt selbst ausgespuckt – müde, kantig, leicht ramponiert, und dennoch ein Mann, der sich weigert, aufzugeben. Sein Glasauge, das mehr über ihn verrät als jedes Geständnis, macht ihn sofort zu jemandem, den ich gern weiter begleiten möchte. Ermittler brauchen für mich keine Heldenpose – sie brauchen einen Riss. König hat mehrere.

Was mich sofort begeistert: Berlin wird hier nicht beschrieben, es wird inszeniert. Das frierende, hungernde Nachkriegsberlin ist kein Hintergrund, sondern ein eigener Protagonist. Man hört das Knirschen der Trümmer unter den Schuhen, riecht den Frost, spürt die Erschöpfung der Menschen. Der „Hungerwinter“ ist nicht Kulisse, sondern Stimmung, Zustand, Atem.


Ein atmosphärischer, dichter Beginn, der wie eine langsam belichtete Fotografie wirkt – dunkel, klar, eindringlich. Lou und König sind zwei Figuren, die man nicht nur kennen-, sondern verstehen möchte. Und genau das macht Lust auf mehr.