Nachkriegszeit 1946

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kleine hexe Avatar

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So liebe ich diese Bücher: einerseits hervorragend recherchierte Lokalgeschichte nach dem Ende des 2. Weltkriegs und andererseits das tatsächliche Leben der einfachen Leute. Sie leiden an Unterernährung, Kälte und feuchten Unterkünften. Wer in diesen Zeiten dick ist, lebt nicht von ehrlicher Arbeit. Der Duft von frischem Brot oder von Bohnenkaffee treibt den Menschen Tränen in die Augen. Die Kälte ist schon ab November allgegenwärtig. Die Bäume, die die Straßen, Gärten und Innenhöfe schmückten, sind längst gefällt und das Holz unter den Nachbarn aufgeteilt. Lou Faber, die arbeitslose Fotografin und ihr halb dementer Mitbewohner verbrennen ab und zu, wenn die Kälte zu sehr drückt, Bücher. Wenigstens für ein paar Minuten in den Genuss der Illusion von Wärme zu kommen. Der Strom wird in den Wohnvierteln täglich abgeschaltet, nur Institutionen wie die Polizei haben permanent Strom. Obwohl, auch da gibt es gelegentliche Ausfälle.
Und in all diesem Elend geschehen Morde, die während des “Tausendjährigen Reich” an der Menschlichkeit begangen wurden. Die Anfänge dieser Morde geschehen in der Hitlerzeit und werden durch seine unmenschliche Gesetzgebung sanktioniert und werden fortgeführt, bis in die letzten Kriegstage, als schon Russen und Alliierten praktisch schon in Berlin einmarschieren. durch die mehr als willigen Helfershelfern des Unrechtregimes, die sadistisch und grausam Unschuldige Menschen töten. Als klar wird, dass diese Täter ungesühnt davonkommen, nimmt ein Mensch die Gerechtigkeit in die eigenen Hände. Leider werden auch andere Opfer dieser Gewalt, weil, wenn man einmal anfängt, man nicht mehr aufhören kann. Gewalt gebiert Gewalt.
Wie einen Schlussstrich ziehen, wenn überall die ehemaligen Handlanger des Hitlerregimes wieder in Schlüsselpositionen gelangen, durch einen Stempel entnazifiziert sind und sogar ihre alten Berufe wieder ergreifen. In AMt und Würden. Plötzlich wollen alle den Juden geholfen haben, sie versteckt haben, sie beschützt haben. Wie wollen hunderttausende deutscher Juden vergast worden sein, wenn jeder arische Deutsche so viele Juden gerettet hat? Und trotzdem, sobald ein Mensch die anderen auch nur entfernt an Juden erinnert, wird hinter ihm her getuschelt und gezischt, wird ihm am liebsten der Zugang verwehrt. würden ihn die rechtschaffenen Deutschen am liebsten auch jetzt noch vergasen. Woran haben die Menschen andersartige Menschen erkannt? Was unterscheidet einen Juden äußerlich von einem Christen? Eine Frage, die seit Nathan dem Weisen immer noch offen im Raum steht. Genauso werden alle, die von den Nazis eingesperrt waren und nun frei sind, geächtet. Hitler hat ja keine Unschuldigen einsperren lassen, oder?! Jeder Hausmeister fühlt sich noch als Blockwart, will immer noch bestimmen, wer das Haus betreten darf und wer nicht. Diejenigen, die früher gespitzelt und verraten haben, tun es auch heute noch. Umdenken? In sich gehen? Neue Saiten anschlagen? Fehl am Platz. Die Mentalität sitzt so tief in den Menschen drin, Kuschen vor der Obrigkeit, andere ausspionieren und melden, oder quälen und töten, das kann nicht aus der Welt geräumt werden. Leider wurde es auch nicht. Sonst wären die heutigen rechtsgerichteten Parteien nicht so stark und die Demokratie bedrohend.
Doch zurück zum Buch. Es ist spannend, es reißt einen mit. Schöne heitere Szenen wie Schneeengel im Wald machen, alternieren mit tristen, grauen Szenen, wie der Schwarzmarkt oder die Polizeistation mit dem inkompetenten aber gut vernetzten Oberkommissar Zeiss, der jetzt zwar auf die KPD schwört, aber sein politischer Hintergrund sehr trübe ist. Dann sind noch die fast friedvollen Szenen bei den Fundorten der Leichen. Und zum Schluss das große Showdown, in dem sich letztlich alles klärt. Das Buch endet mit einem Hoffnungsschimmer. Wenn Lou Faber als Polizeifotografin arbeiten kann, wird sie ein geregeltes Einkommen haben, vielleicht besser essen, denn sie wird auch eine Zuteilung von Essensmarken bekommen.
Und, was mir persönlich am besten gefällt: das Ende des Buches enthält ganz interessante Fährten, die hoffentlich zu einem oder mehreren Folgeromanen führen werden.