Ein neues Leben zu finden ...

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Während Groffs „Matrix“ zwar nicht kritiklos, aber sehr gern von mir gelesen wurde, kann „Die weite Wildnis“ nur wenig überzeugen. Die leider sehr klischeehaft gelungene Story, die kein richtiges Ende besitzt, zieht sich stark in die Länge. Zudem wird sie in einer sehr schwülstigen Sprache (die Übersetzung halte ich für sehr gelungen) erzählt, die vermutlich über die Unzulänglichkeiten des mehr als dünnen Plots hinwegtäuschen soll, der zudem mit etlichen Gewalttaten angefüllt wurde, wahrscheinlich zum gleichen Zweck.
Es ist ein junges Mädchen, das mitten im kalten Winter aus dem Fort davonläuft. Ihre wenigen Habseligkeiten hat sie gestohlen und weiß, dass ihr Leben damit verwirkt ist. Aber das Leben der Neuankömmlinge in diesem neuen, fremden Land ist hart, gekennzeichnet von Tod und Siechtum, nicht mehr lange, fürchtet sie, bis die Menschen übereinander herfallen, um dem Hungertod zu entgehen. Ihr kleiner Schützling ist nur kurz davor gestorben.
Während es das Mädchen durch die Wildnis treibt, sie friert, verfolgt wird und sich durchkämpfen muss, zieht sie sich geistig in ihre eigene Welt, ihre Gedanken zurück. Und so erzählt sich diese Geschichte in Rückblicken. Wer einige Filme, die in besagter Zeit und Gegend spielen, kennt und sich den modernen Zeitgeist dazu denkt, wird leider nichts Neues entdecken können. Es ist sehr vorhersehbar, was als Nächstes geschehen wird. Zudem wird immer wieder die eigentliche Flucht eingeflochten. Das Mädchen hat stets mehr Glück als Verstand. Leider gelingt es der Autorin nicht, sich sprachlich in ihre Figur hineinzuversetzen. Das Mädchen ohne Bildung schildert in großen, schwülstigen Worten große philosophische Zusammenhänge und Gedanken, wie es kaum ein Meister des Fachs vermögen würde. Glaubhafter wäre es angepasster gewesen. Und am Ende, nach den vielen Jahren … würde sich auch hier wieder die Sprache verändern, wenn es sie denn überhaupt noch gäbe.
Einst aus einem Waisenhaus als Kindermagd in den Haushalt einer vermögenden Dame geholt, gilt das Mädchen in diesem nicht viel. Der Sohn erschreckt sie gern mit düsteren Geschichten, der Vater missbraucht sie. Später, als der Sohn einmal mit Kommilitonen zu Besuch kommt, kann das Mädchen ihnen nicht entkommen. Schreckliche Dinge, fürwahr. Und dennoch. Als die Überfahrt beginnt, lernt sie einen jungen Mann kennen und kaum, dass ein Tag vergangen ist, beginnt sie eine sexuelle Beziehung mit ihm und spricht schon nach wenigen Wochen von großer Liebe. Das daraus nichts wird, liegt auf der Hand. Der Umgang mit dem Thema gefiel mir nicht.
Auf ihrer Flucht begegnet das Mädchen einem Mann, der Jahrzehnte zuvor als letzter Überlebender zurückgeblieben ist. Er versucht, sie anzugreifen, ist völlig verroht und abgemagert. Ihn dürstet jedoch nicht nach Neuigkeiten, danach zu erfahren, woher sie stammt, ob es neue Europäer gibt, die angelandet sind, ob er seinem Eremitendasein entkommen könnte. Er will nur die Frau, weil er eben lange keine mehr hatte. An solchen Stellen im Buch, eben dieses nicht wütend zuzuschlagen, gelingt beinahe nicht. Es ist eine Sache, sein eigenes Weltbild auch in einen historischen Roman einzubauen. Eine ganz andere jedoch, wenn es dadurch gepresst und unlogisch wird.
Nachdem sich der Leser also nun durch Klischees und Schwülstigkeiten und eine völlig unspektakuläre Flucht (da dem Mädchen immer alles sofort gelingt und sie hungrig sofort über Nahrung stolpert) gekämpft hat, bleibt noch die Frage danach, was die Autorin eigentlich aussagen wollte. Am Ende schafft es das Mädchen nämlich, sich noch mehr zu verlaufen und dann quasi in der Wildnis zu stranden. Nur wieso? Wieso verharrt sie an ein und derselben Stelle, ohne weiterzuwandern (dann eben im Frühjahr, wenn der Schnee geschmolzen ist)? Versucht nicht einmal, zurück zu dem Einsiedler zu gelangen, der ihr sicher einiges über das Leben allein und eben im Ablauf erzählen könnte. Er hat ein Kanu gebaut, er hat … so viel. Sie versucht nicht einmal, Kontakt zu den Indigenen aufzunehmen, die sie immer mal wieder bemerkt. Sie sitzt nur da und … ja was? Jemand, der so viel er- und überlebt hat, bleibt nicht einfach stehen.
Es tut mir leid, das zu ehrlich sagen zu müssen, aber dieses Machwerk ist einfach nur künstlich aufgeblasen worden, ohne den geringsten Mehrwert für den Leser zu bieten.
Ich empfehle „Wildnis ist ein weibliches Wort“ von Abi Andrews.