Leben und Tod gehen Hand in Hand in Lauren Groffs realistischer Darstellung einer Flucht durch den Wald

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savira Avatar

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In diesem Roman begleiten wir die junge Lamentatio - die den Großteil der Geschichte einfach "das Mädchen" genannt wird - auf ihrer Reise durch die verschneite amerikanische Wildnis des frühen 17. Jahrhunderts.

Die Geschichte beginnt damit, dass die Protagonistin sich gerade aus der englischen Siedlung schleicht, bei der sie als Dienerin eines Pfarrers und seiner Frau angestellt war, nachdem die Tochter ihrer Herrin gestorben ist.
Mit dem Nötigsten zum Überleben ausgestattet, macht sie sich auf in die verschneite Wildnis in Richtung Norden, in der Hoffnung, sich dort ein Leben aufbauen zu können und eventuell bei den Franzosen Unterschlupf zu finden.

Der Roman kommt fast komplett ohne Dialoge aus. Der Schreibstil ist, meistens, fast poetisch und beschreibt die Handlung wunderbar atmosphärisch und träumerisch. Wer Wälder, den Winter und den Frühling liebt, wird das Moos und den tauenden Schnee an einigen Stellen förmlich riechen und die Kälte spüren und den Schnee fallen hören können.


Im starken Kontrast zur poetischen Eleganz und den wunderschön beschriebenen Landschaften steht die Vulgarität, der Ekel und die Gewalt.
Lamentatio leidet mehrfach etwas zu deutlich beschrieben unter Durchfall und Dehydration. Sie isst in der Natur, was sie finden kann, inklusive lebendem Fisch, Larven, Spinnen usw.
Weder hätte dies alles so grafisch beschrieben sein müssen, noch derart oft vorkommen.
Dazu kommen Beschreibungen von Krankheit, Mord, Kannibalismus und Grausamkeit an Tieren, die so sicher niemand braucht und die auch sicher niemand, der sich für dieses Buch interessiert, in dieser Art als Inhalt erwarten dürfte.

Inhaltlich begleiten wir Lamentatio also auf ihrer Reise durch den Wald im Winter, kriegen aber auch viele Einblicke in ihr Leben, von frühester Kindheit, dem anfänglichen Leben in der Dienerschaft, dem Schrecken ihres neuen Herren, nachdem der alte gestorben ist, der Überfahrt auf See, bei der sie sich verliebt hat bis hin zum schockierenden Tod des Mädchens, um das sie sich seit dessen Geburt so fürsorglich gekümmert hatte, Auch das Ende der Reise erleben wir mit.

SPOILERWARNUNG
Es sollte gesagt sein, dass dieses Buch kein Happy End findet. Die Stiefel, die Lamentatio einem an Pocken gestorbenen Jungen abgenommen hat, haben ihr ebenfalls diese Krankheit eingebracht und sie siecht die letzten Kapitel solange vor sich hin, bis sie im Dilirium, in dem sie sich den weiteren Verlauf ihres Lebens vorstellt, schließlich stirbt.
Hierbei vergibt das Buch meiner Meinung nach eine weitere Chance: statt, trotz des Todes, das Buch hoffnungsvoll enden zu lassen und einen winzigen Lichtstrahl in all die Dunkelheit zu lassen, endet die Geschichte mit purem Nihilismus - Lamentatio gleitet ab in endlose Dunkelheit.
SPOILERWARNUNG ZU ENDE

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses Buch so viel "mehr" hätte sein können, als es schlussendlich war.
Wer ein Abenteuer mit Happy End erwartet, wird spätestens vom Ende enttäuscht und auf dem Weg dahin von den ständigen Beschreibungen von Gewalt an Tieren und dem allgegenwärtigen Leid und Sterben angeekelt werden, das im direkten Kontrast zur Schönheit der Natur steht.
Klar, anhand des Themas konnte man realistisch gesehen einfach keine Story wie in einem Disney-Animationsfilm erwarten. Aber ein so hoffnungsloses, pechschwarzes Buch haben wohl auch nur die Wenigsten erwartet.