Viel mehr als ein Frauen- und Naturroman

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thirteentwoseven Avatar

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Der Inhalt des Buches "Weite Wildnis" von Groff hat mich in vielerlei Hinsicht (positiv) überrascht. Ich kannte die Autorin bisher nicht, aber sie hat die guten Bewertungen wirklich verdient.
In dem Buch geht es um ein namensloses Mädchen, die kleine Zett, die in der neuzeitlichen Welt des 17. Jahrhunderts im wahrsten Sinne des Wortes ein Nichts ist und für die gerade mal der letzte Buchstabe des Alphabets gut genug ist, um sie zu rufen: Zett. Zett hat ein sehr hartes Schicksal. Ausgesetzt und aufgezogen in einem Armenhaus, kommt sie als Dienstmagd in einen gutbürgerlichen Haushalt, wo sie niedrige Arbeiten verrichten und schlimme Qualen erleiden muss. Als die Familie als eine der ersten Aussiedlerfamilien mit dem Schiff in das unbekannte Amerika aufbricht, muss sie mit.
Dort angekommen, kommt sie vom Regen in die Traufe. Hat Zett in Europa die totbringende Pest überlebt, leiden die Siedler in Amerika bittersten Hunger und die Pocken brechen aus. Ein einschneidendes Erlebnis zwingt Zett zur Flucht. Sie macht sich alleine auf in ein unbekanntes , weites, wildes Land.
Soweit ein erster Blick in den Inhalt. - Ich hatte mir vorgestellt, dass sich das Buch hauptsächlich um das Leben und Überleben des Mädchens in der Wildnis dreht. Dies ist aber nur zum Teil so. Auf ihrem mühsamen und oft qualvollen Weg durch die ungebändigte Natur, taucht der Leser tief ein in die Lebensgeschichte und Gedankenwelt des Mädchens. Durch Erinnerungen, Alp- und Tagträume, Fieberphantastereien und Ängste offenbaren sich immer mehr Einzelheiten aus ihrem bisherigen Leben - bis aus vielen Puzzleteilen ein ganzes Bild entsteht.
Obwohl der überwiegende Teil des Erlebten schockierend und für unsere Verhältnisse unglaublich grausam ist, erlebt das Mädchen doch auch Gutes und erfährt menschliche Nähe. Durch ihre Flucht wendet sie sich letztlich von den Menschen ab und findet in der Natur zumindest zeitweise Sinnhaftigkeit und kurze Momente des Glücks.

Das Schicksal von Zett scheint mir einzigartig, unheimlich gut erdacht und geschrieben Das was sie in der damaligen Gesellschaft erleiden muss, steht meines Erachtens jedoch für viele Frauenschicksale der damaligen Zeit. Intelligent, mit einem gütigen Herzen und starken Rechtsempfinden ausgestattet, muss sich Zett in einer grausamen, standesorientierten Männerwelt zurechtfinden.
Ist das Buch „weite Wildnis“ dadurch ein Frauenroman ? Ja, in meinen Augen in gewisser Weise schon. Aber nur zum Teil. Es gibt keine Kategorisierung, in der nur die Männer schlecht weg kommen. Es gibt auch gute Männer und charakterlose Frauen. In erster Linie ist das Buch für mich ein Entwicklungs- und Abenteuerroman, der die historischen und gesellschaftlichen Strukturen der damaligen Zeit anhand eines dramatischen Einzelschicksals sehr realistisch spiegelt.
Ein Buch, mit unvergesslichen Gestalten, Erlebnissen und Handlungen, das durch seine grausamen realitätsnahen Schilderungen, aber auch durch klare und wunderschöne Naturschilderungen und hintergründige Gedanken besticht.
Ich gebe eine unbedingte Leseempfehlung für alle, die anspruchsvolle Bücher lieben und nicht nur in eine schöne Happy-Traumwelt abtauchen wollen.