Seicht

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alasca Avatar

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Ein Patrizierhaus mitten in Cagliari. Es geschieht einiges zwischen der Bel Etage, Domizil des Amerikaners Mr. Johnson, und dem dunklen Untergeschoss, in dem die Putzfrau Anna mit ihrer Tochter Natascha haust. Hiervon berichtet die Studentin Alice, Bewohnerin der Zwischenetage, aus der Ich-Perspektive. Alices Vater hat sich vor langer Zeit umgebracht und ihre Mutter ist ein Pflegefall, seit sie sich deshalb in den Wahnsinn flüchtete.

Mr. Johnson, von seiner reichen sardischen Frau verlassen, weil sie seine Lebensuntüchtigkeit nicht mehr erträgt und sich seinen neu erwachten sexuellen Gelüsten nicht gewachsen fühlt, braucht eine Haushälterin, und so vermittelt Alice ihm Anna. Dann zieht oben besuchsweise noch Johnson Junior mit seinem kleinen Sohn Giovannino ein. Alle freunden sich miteinander an, und Alice ist glücklich mit ihrer Ersatzfamilie, bis Mrs. Johnson beschließt, zurück zu kehren. Das sorgt zunächst für Missstimmung, aber, wie Alice sagt: „…wenn man will, dass einem ein Mensch unsympathisch bleibt, muss man um jeden Preis vermeiden, dass man ihn näher kennenlernt.“

Die Leserin ist aus Erfahrung geneigt, das Gegenteil zu behaupten.

„Naiv“ ist denn auch das Wort, das mir zu diesem Roman einfällt. Naiv-unverblümt die Sprache, mit der Alice erzählt. Naiv-optimistisch die Haltung von Johnson junior. Naiv-wunderbar die verblüffende Wirkung von Giovannino auf die hoffnungslosen Fälle in seiner Klasse. Naiv-rosarot, trotz der durchaus traurigen Lebensgeschichten, die Grundstimmung des Buches.

Bestürzt hat mich, dass fast alle Frauen in dem Buch kein anderes Interesse haben, als Männern zu gefallen – bzw. sie „zu halten“. Deshalb hat Alice als ihr Lebensziel erklärt, eine „Sexgranate“ zu werden. Später dann Schriftstellerin, weil Johnson junior das für eine gute Idee hält. Natascha, bildschön und sexy, hat selbstredend immer Lust und eine paranoide Furcht, ihren hässlichen Verlobten zu verlieren. In dem Fall will sie Selbstmord begehen. Anna, im reifen Alter von 65 Jahren, erringt die Liebe Mr. Johnsons, indem sie sich voll auf seine Bedürfnisse einstellt, vor allem aber indem sie mithilfe des nächsten Erotikshops seine Fantasien bedient, die er aus Pornoheften bezieht. Überhaupt ist guter Sex (gleichgesetzt mit pornografischem Sex) das Thema Nummer eins. Alice liest zum Beispiel die Pornohefte Mr. Johnsons als eine Reihe von erotischen „Geschichten“, mit deren Hilfe sie sich zu bilden hofft. Wie fragwürdig das ist, fällt aber kaum auf, weil die naive Sicht von Alice alles nicht nur harmlos, sondern sogar romantisch aussehen lässt. Kaum zu glauben, dass dieser Roman im Jahre 2013 veröffentlicht wurde – von einer Frau.

Was hier auf dem Kopf steht, hat sich mir nicht erschlossen. Der Sinn der letzten Seite übrigens auch nicht – was soll das!? Die Botschaften des Romans sind jedenfalls eindeutig: „Geld macht nicht glücklich“, „Jeder ist in Ordnung, so wie er ist“, „Männer hält man mit Sex, nicht mit Schönheit“ und „Wenn wir uns alle liebhaben, wird alles gut.“

Wer einfach ein schön geschriebenes Wohlfühlbuch sucht, wird hier fündig. Mir ist das ein bisschen zu seicht.