Unu misciamoroddu - ein einziges Durcheinander

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theresia626 Avatar

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Schauplatz des neuen Romans von Milena Agus „Die Welt auf dem Kopf“ ist ein altes Patrizierhaus in Cagliari auf Sardinien. Ganz oben wohnt die sehr vermögende Familie Johnson. Mr. Levi Johnson ist der berühmteste Jazzgeiger aller Zeiten, ein Gentleman in den Siebzigern, mit merkwürdigen Angewohnheiten, der aber Güte ausstrahlt. Gekleidet ist er mit schlichter Eleganz, erscheint aber manchmal etwas verwirrt. Er lebt in seiner eigenen Fantasiewelt, das hat er immer schon getan. In der Mitte wohnt die junge Literaturstudentin, die hier als Ich-Erzählerin auftritt. Sie hat eine schwere Kindheit hinter sich. Ihr Vater nahm sich früh das Leben, ihre Mutter verfiel dem Wahnsinn, und sie wurde in ihrem Dorf zu einer Außenseiterin. Die Wohnung, in der sie jetzt lebt, hatte ihre Großmutter mütterlicherseits vor vielen Jahren gekauft. Hier am Meer war sie glücklich. „…angesichts des Meeres kommt einem alles viel leichter vor, die Probleme schwappen mit den Wellen heran und werden wieder von ihnen fortgetragen.“ (S. 196) Als der Signore von oben von seiner Ehefrau verlassen wird, benötigt er dringend eine Haushaltshilfe, und die Ich-Erzählerin denkt sofort an Anna, die Signora von unten. Anna ist eine Frau in den Sechzigern, herzkrank und ausgesprochen hilfsbereit. Sie muss sich mit verschiedenen Putzstellen in der Stadt ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie wohnt mit ihrer Tochter Natascha in der ehemaligen Dienstbotenwohnung, die dunkel und ärmlich eingerichtet ist. Als Anna ihre Arbeit in der oberen Etage aufnimmt, verändert sich ihr Leben von einem Tag auf den anderen, auch wenn sich Mutter und Tochter wegen Mr. Johnson ständig in den Haaren liegen. Natascha sorgt sich um ihre Mutter. Sie fürchtet, dass sie sich verliebt, denn in den Augen von Natascha sind die Männer schuld daran, dass ihre Mutter herzkrank ist. Als Mr. Johnson auf Reisen geht, schläft Anna oben. Die Wohnung der Johnsons ist für sie unwiderstehlich, sie ist die größte und prächtigste im Haus, mit einem Schrankzimmer, Seidentapeten, vierteiligen Fenstern, brokatbezogenen Sofas und zahlreichen Spiegeln, die die Lichter aus dem Hafen reflektieren. Annas Lieblingsraum jedoch ist die Küche. Hier kann sie für Mr. Johnson ordentliche Mahlzeiten zubereiten. Kurze Zeit nach Mrs. Johnson Auszug taucht Johnson junior, der lange Zeit in Mailand lebte, mit seinem siebenjährigen Sohn Giovannino auf. Es kommt wie es kommen muss: Anna verliebt sich in Mr. Johnson, legt sich Reizwäsche zu, und die Ich-Erzählerin verliebt sich in Johnson junior, der ihre Liebe allerdings nicht erwidert. Als dann plötzlich die Ehefrau wieder in dem alten Palazzo auftaucht, gerät alles durcheinander, und irgendwann kehren alle an ihren alten Platz zurück.

Milena Agus hat mit „Die Welt auf dem Kopf“ einen fantasievollen, stellenweise erotischen Roman geschrieben. Es geht um die Liebe, die späte und vielleicht letzte Liebe, auch wenn der Roman kein Liebesroman ist. Es geht auch um Freundschaft und die Bedeutung von menschlicher Nähe. Schlüsselfigur ist hier die überaus sympathische, immer hilfsbereite Anna, die – oft zu ihrem Nachteil – an sich selbst zuletzt denkt. Der Leser nimmt am Leben der zusammengewürfelten Hausgemeinschaft teil und sieht, wie ihre Welt manchmal Kopf steht, aber dennoch irgendwie funktioniert. Gut gelungen ist der Autorin auch das sardische Flair, was nicht weiter verwunderlich ist, denn ihre Familie stammt von dort, und Milena Agus lebt in Cagliari. Alles in allem ist „Die Welt auf dem Kopf“ ein stimmungsvoller, einfühlsamer und gut lesbarer Roman, den ich gern weiterempfehle.