Vom Ende der Hustle Culture

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dozzeline Avatar

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"Da soll nochmal jemand den Vorwurf in den Raum stellen, dass junge Menschen „einfach nicht arbeiten wollen“. Warum sollten sie auch, wenn sie in eine Arbeitswelt geworfen werden, die ihnen von Tag ein signalisiert, dass sie nicht gewollt und wertlos sind? Dass sie dankbar sein müssen, ihre Arbeitskraft für geringe Löhne abgeben zu dürfen?"

Die letzten Jahre fühlen sich wie eine Aneinanderreihung von Krisen an: Covid, Ukraine und die anhaltend fehlenden Bemühungen, die Klimakatastrophe zu stoppen. Trotzdem machen wir einfach weiter, kämpfen uns täglich durch eine Arbeitswelt aus dem letzten Jahrhundert und sind, wie Sara Weber richtig sagt, alle so verdammt erschöpft. Realistisch betrachtet funktioniert das System schon lange nicht mehr – schon gar nicht für die Generationen der Millenials und Gen Z, die sich von unbezahltem Praktikum zu befristetem Job hangeln ohne Aussicht auf den Lebensstandard ihrer Eltern und Großeltern. Doch was wäre der Weg aus der Krise?

Die Fragen und Probleme, die Sara Weber in ihrem ersten Sachbuch aufwirft, sind nicht per se neu: ich habe 2021 einen soul-sucking 60h-Job hinter mir gelassen und könnte über diese Entscheidung nicht glücklicher sein. Und trotzdem bin ich auch nach 42h immer noch so unfassbar müde. Auch mein neuer Job ist befristet. Auch mein Job bietet mir nicht die Flexibilität, die ich mir wünschen würde. Und trotzdem weiß ich, dass er im Vergleich immer noch eher zu den „lovely jobs“ gehört und ich nicht mit den hässlichsten Seiten der Arbeitswelt konfrontiert werde.
Sara Webers Analyse des Arbeitsmarktes ist ungeschönt und umfassend: zu lange Arbeitszeiten, zu wenig Flexibilität, hohe Befristungsquote insbesondere bei Arbeitnehmer*innen unter 40, vermeintlicher Fachkräftemangel im Niedriglohnsektor, fehlende Gleichberechtigung, ungleiche Verteilung unbezahlter Care Arbeit, zunehmende Schere zwischen den Einkommen, fehlende Organisation der Arbeitnehmer*innen und verfehlte wirtschaftliche Ausrichtung auf weiteres Wachstum bei limitierten planetaren Ressourcen. Doch glücklicherweise zählt die Autorin nicht nur die Baustellen auf, sie zeigt auch Lösungsansätze, wie es uns gelingen kann, die Arbeitswelt zu reformieren und auf unsere Bedürfnisse und die planetaren Grenzen anzupassen – Lösungen, die uns ermöglichen, den Herausforderungen der Klimakrise zu begegnen, die unser Leben gleichberechtigter machen und eine erfolgreiche Transformation der Arbeitswelt bei zunehmender Technologisierung ermöglichen.
Der ganze Komplex „shortcomings der Arbeitswelt“ war schon vor Sara Webers Buch ein Thema, mit dem ich meinem Umfeld gerne auf die Nerven gegangen bin und trotzdem habe ich in den letzten Tagen so viele neue Denkanstöße gesammelt. Absolute Leseempfehlung für alle, die die Arbeitswelt ändern wollen und noch viel mehr für die, die denken, es wäre schon alles gut so, wie es ist.