Bezaubert leider nicht jedes Herz

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Die Idee zu "Die Woll-Lust der Maria Dolors" erscheint zunächst herzergreifend: Eine alte Dame, die nach einem Schlaganfall nicht mehr sprechen kann und nun, von beinahe der gesamten Familie als beschränkt abgestempelt, die Tage damit verbringt, ihrer Enkelin einen Pullover zu stricken und dabei unbemerkt die vielen kleinen Familiengeheimnisse mitzubekommen, die täglich vor ihrer Nase passieren. Aber auch Maria Dolors hat ein Geheimnis, das sie dem Leser nach und nach offenbart.

Aus der Sicht der Großmutter, Maria Dolors, erzählt, wird man dieser Perspektive leider so manches Mal überdrüssig. Nicht nur, weil durchaus auch die Sicht der anderen Personen interessant wäre, sondern auch, weil die inneren Monologe der alten Dame teilweise einschläfernd wirken. Leider stören auch die Beschreibungen im Präsens den Lesefluss, was noch erschwert wird durch die vielen, teilweise sehr abrupten Übergänge von Erzählungen aus dem Hier und Jetzt im Gegensatz zu Geschichten aus dem Leben der alten Dame.

Ebenfalls nicht ganz klar ist die Zeit, in der die Geschichte spielen soll. Wenn von bauchfreien Shirts und Bauchnabelpiercings als "modern" gesprochen wird, trifft dies durchaus nicht mehr auf die heutige Zeit zu. Auch die Verhältnisse zu den Zeiten, als Maria Dolors noch jung war, wirken etwas zu altmodisch, um die Geschichte aus heutiger Zeit zu erzählen. Zurück bleibt die Frage, ob absichtlich eine - aus heutiger Sicht - "unmoderne" Perspektive gewählt wurde und wenn ja, wieso.

Je weiter man in der Geschichte voran kommt, desto mehr erfährt man über die Geheimnisse der anderen Familienmitglieder und den Problemen, die damit zusammenhängen. Wenn Magersucht, Homosexualität, Kinderpornografie und Erpressung jedoch auf einen Schlag zusammen kommen, braucht es gute Gründe, um die Glaubwürdigkeit zu erhalten. Das schafft dieses Buch leider nicht, da auch die Charaktere nicht ganz ausgereift scheinen. Einer alte Dame, die sich über süße, virtuelle Kätzchen so sehr entzücken kann, dass ihr die Tränen kommen, würde man nicht zutrauen, dass sie auch Worte wie "Scheißkerl" benutzt. Mit gleicher Unvorsicht werden auch die Themen angegangen. Ein so ernstes Feld wie Magersucht wird dabei heruntergespielt, indem Maria Dolors kaum Mühen scheut, ihre Familie auf dieses Problem aufmerksam zu machen und indem die Familie, als sie es erfährt, zwar mit Schock aber auch mit einer gewissen Blindheit und Gleichgültigkeit reagieren.

So konnte dieses Buch, das angeblich "die Herzen aller Generationen bezaubert", wie es im Umschlagtext angekündigt wird, mein Herz leider nicht bezaubern.