Blanca Busquets - Die Woll-Lust der Maria Dolors

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jiskett Avatar

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Trotz anfänglicher Probleme mit dem Schreibstil habe ich dieses Buch sehr gerne gelesen, oder vielleicht auch gerade deshalb. Ich mag komplexe Geschichten, in denen ich immer ein bisschen mitdenken muss, um mich nicht von der wechselnden Situation verwirren zu lassen. Irgendwann habe ich sogar Gefallen an diesen wechselnden Zeitformen gefunden, weil ich interessant fand, wie verschiedene Ereignisse in Dolors Erinnerung/Gedankenwelt verknüpft wurden und auch, wie es mit der Arbeit am Pullover zusammenhing. Durch diese Erzählweise setzen sich die Bruchstücke des Lebens der Protagonistin nach und nach zusammen, bis man schließlich ziemlich am Ende einen guten Überblick hat und verstehen kann, wie alles zusammenhängt und auch, dass manche Handlungen der Vergangenheit selbst noch dreißig Jahre danach ihre Auswirkungen haben. Überhaupt ist die Geschichte leicht philosophisch angehaucht - kein Wunder, immerhin hat Dolors dieses Fach (heimlich) studiert.
Dolors ist eine sehr aufgeschlossene Frau, die auch keine Probleme mit Homosexualität hat und für die damalige Zeit erstaunlich offen war. Allerdings ist sie alles andere als ein Tugendschaf, beispielsweise ließ sie ihren eigenen Mann sterben und beging ohne Scham Ehebruch. Sie hat ihre eigenen Vorstellungen, zu allem eine Meinung und ihr Verstand ist wirklich noch sehr wach. Dadurch, dass wir die Geschichte quasi durch ihre Gedanken erleben und es sich um ihr Leben dreht, ist alles sehr subjektiv, wir sehen die Dinge nur so, wie sie es sieht, und nehmen dadurch auch die einzelnen Charaktere durch ihre Augen wahr. Dadurch kann man sich sehr stark mit der Hauptperson identifizieren, und andere Blickwinkel auf die Personen bekommt man durch Monologe, die die Charaktere führen, wenn sie sich allein fühlen (“Oma bekommt ja nichts mehr mit”). Der Epilog bietet zudem Einblicke in die Gedankenwelt der im Buch auftretenden Figuren, was ein abrundender Schluss ist.
Was mir auch positiv aufgefallen ist: heikle Themen wie Homosexualität und Magersucht werden aufgegriffen, sind keine Tabuthemen und werden auch nicht schlecht geredet beziehungsweise verklärt. Es wird gezeigt, dass Magersucht sehr schlimm ist und dass man Hilfe braucht, außerdem, dass die Betroffenen oft blind dagegen sind.
_Die Woll-Lust der Maria Dolors_ ist in meinen Augen ein wirklich schönes Buch, das ich in wenigen Stunden gelesen habe und welches mich sehr berührt hat. Vor allem im letzten Kapitel hatte ich Tränen in den Augen. Bei der Wertung schwankte ich erst zwischen 4,5 und 5 Sternen, aber letztendlich sind es 5 geworden. ;)