Wunderbar!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
singstar72 Avatar

Von



Der Titel dieses Buches ist so herrlich doppeldeutig! Einerseits sind die gewählten Frauenfiguren „wunderbar“, weil sie alle ihren eigenen Weg suchen und gehen. Andererseits spielt die Geschichte im beginnenden „Wirtschaftswunder“, die Frauen erleben also etliche Veränderungen mit.

Die Leseprobe war verhältnismäßig lang, was ich aber gerechtfertigt fand. Allerdings lernen wir trotzdem erst drei von den angekündigten vier Frauen kennen.

In einem Prolog befinden wir uns im Herbst 1953. Helga hält eine mehr oder weniger improvisierte Turnstunde im Gemischtwarenladen von Luise ab. Zu Swing-Musik, die alle mögen, deren Texte aber fast keine versteht, wird auf Waschlappen und in zusammengestückelter Garderobe geschwitzt. Ich habe mehrmals herzhaft gelacht! Schon allein die Vorstellung, wie die „Turngemeinde“ aus dem Pfarrhaus vertrieben wurde – wo doch angeblich sogar „Jesus mitgewippt“ hat… herrlich!!

Dann geht es in drei Abschnitten weiter, welche sich jeweils einer einzelnen Frau widmen. Wenige Monate zuvor. Luises Schwiegermutter, ein echter Drachen, ist gerade verstorben. Und Luise überlegt erst noch, aus ihrem Wohnzimmer einen Laden zu machen. Wunderbar wird hier das deutsche Spießbürgertum in der Figur der Schwiegermutter und deren Freundinnen aufs Korn genommen! Auch die alten Begräbnisriten haben mich köstlich amüsiert.

Im zweiten Abschnitt geht es um Marie, die aus Schlesien geflüchtet ist, und nun eine Arbeit sucht. Sie hat gelernt, mit Pferden umzugehen; wird aber auf einem Gut abgewiesen. Man nähme keine Frauen. Auf dem Rückweg, mitten im Regen, platzt ihr auch noch der Koffer… Marie scheint in dieser Geschichte die Rolle des Pechvogels einzunehmen. Immerhin wissen wir aber aus dem Prolog, dass sie wenige Monate später im Ort leben und an der Turnstunde teilnehmen wird.

Im letzten Abschnitt geht es um Helga, die im Prolog das Turnen angeleitet hat. Sie ist eine Art „höherer Tochter“, macht sich aber nicht viel daraus. Sie raucht lieber und trägt Petticoats, anstatt Abitur zu machen – bei dem sie auch prompt durchfällt. Wie damals üblich, soll sie Verehrern bei einem Familienessen vorgestellt werden. Aber auch diese Veranstaltung juckt sie nicht sonderlich. Oh ja, Helga ist unkoventionell! Ich hatte meinen Heidenspaß mit ihr in dieser Leseprobe. Ich wünsche ihr von Herzen, dass sie diesen Langweiler, den ihre Eltern ausgesucht haben, nicht nehmen muss! Allerdings befürchte ich Schlimmes. Im Prolog war ihr so merkwürdig übel… oh weh!

Ich würde mich wirklich sehr über dieses Buch freuen. Es scheint ein richtiger Schmöker zu sein, aber dennoch nicht langatmig. Man kann richtige Beziehungen zu den Figuren aufbauen. Und ein Hauch Dramatik ist wohl auch dabei, sowie eine gehörige Portion Ironie. Eine ganz wunderbare Mischung!