Eifrige Schülerin

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Gäbe es so etwas wie Bundesjugendspiele für das Schreiben einer neuen Krimiserie, würde Linda Castillo eine Urkunde bekommen. Keine Ehrenurkunde für besondere Leistungen, aber eine Siegerurkunde für die erfolgreiche Teilnahme wäre drin. Ihr Erstling “Die Zahlen der Toten” wirkt wie das Resultat einer eifrigen Schülerin. Alle Regeln beachtet, aber an den Feinheiten hapert es noch.

In Painters Mill, einer 5000 Seelen Gemeinde im Herzen Ohios, wird die grausam zugerichtete Leiche einer jungen Frau gefunden. Die Verletzungen die man ihr zugefügt hat, scheinen auf den “Schlächter” hinzudeuten. Einen Verbrecher der vor 16 Jahren den Ort schon einmal heimgesucht hat und damals vier Frauen auf die gleiche Weise tötete. Nur die Polizeichefin Katie Burkholder, ein ehemaliges Mitglied der Amischen Gemeinde des Ortes, geht von einem Nachahmungstäter aus. Das Geheimnis, das Sie zu dieser Annahme verleitet, behält Sie zunächst für sich. Dass sie damit falsch liegt stellt sich heraus, als in kurzer Abfolge weitere Frauen auf bestialische Weise vergewaltigt, gefoltert und ermordet werden. Und plötzlich ist nicht nur ihr Job in Gefahr sondern auch ihr Leben.

Linda Castillos Debüt ähnelt im Verlauf ein wenig an die Fahrt mit einer Berg- und Talbahn. Nach einem packenden Einstieg kommt eine längere Durststrecke, die dann von einem fesselnden Finale beendet wird. Den Beginn des Buches habe ich als wohltuend anders empfunden, weil die Autorin darauf verzichtet sich in blutrünstigen Details zu wälzen. Leider wird im weiteren Verlauf des Buches nicht mehr auf Zurückhaltung gesetzt, sondern auf die Steigerung monströser Details. Jedes weitere Opfer wird noch grausamer gefoltert und zu Tode malträtiert. Dem Leser werden dann auch nicht mehr die ekelerregenden Einzelheiten erspart. Das zeugt von einer guten Kenntnis der menschlichen Anatomie (siehe eifrige Schülerin) aber nicht von literarischer Qualität.

Die Figuren wirken etwas farb- und konturlos. Die Geschichte wird aus der Perspektive von Katie als Ich-Erzählerin und in der dritten Person aus wechselnder Sicht geschildert. So erfährt man zum Beispiel erst auf Seite 240 wie Katie aussieht. Das finde ich ein bisschen spät. Überhaupt ist die Hauptprotagonistin nicht unbedingt die Sympathieträgerin des Krimis, was bei einer geplanten Serienheldin eher kontraproduktiv wirkt. Die Sprache die die Autorin für Katie verwendet ist kurz, schroff und abgehackt. Sie schafft eher eine Distanz zu der Hauptfigur und wirkt klinisch und kalt. Zum Ende hin bessert sich dies etwas. Der wichtigste männliche Part im Buch ist das “geborene” Klischee. Abgehalfteter Cop auf Drogen und Alkohol rappelt sich im Ernstfall zu alter Größe auf. Trotzdem wirkt John Tomaselli warmherziger und menschlicher. Sein Auftreten sorgt auch dafür, dass der Ton im Buch generell gefälliger wird. Die anderen Figuren, die Sekretärin Mona, die Hilfspolizisten Banks und Glock, der Bürgermeister und die Stadträte bleiben ebenso pauschal wie oberflächlich.

“Die Zahlen der Toten” liest sich flüssig. Die Sprache ist eher einfach, manchmal etwas holprig und einfallslos. Was mich besonders genervt hat, sind die “Yeah’s”. Im gesamten Buch antworten alle Personen wenn sie angesprochen oder mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt werden, mit diesem Laut, der so klingt als würde man gerade auf einem Hamburger herumkauen. Was immer dahinter stecken mag, vielleicht eine besonders originelle Übersetzung, ich finde das einfache Wort “Ja” klingt und liest sich besser.

Auf einen, meiner Meinung nach, interessanten Inhaltsaspekt geht die Autorin leider nur am Rande ein. Katie ist als “Amische” geboren und im Teenageralter aus ihrer Gemeinde ausgetreten um fortan als “Englische” zu leben. Da ich die Kultur der Amischen bisher nur aus dem Film “Der einzige Zeuge” mit Harrison Ford kannte, war meine Wissbegier sofort geweckt. Leider wurde sie enttäuscht. Da hätte ich mehr Hintergrundwissen geschätzt.

Insgesamt ein Krimi den man schnell mal herunterlesen kann, der einem aber nicht wirklich im Gedächtnis bleibt. Und von dem man auch nicht unbedingt eine Fortsetzung braucht.