Von Kälte durchzogen

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anonymous Avatar

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Nach Monaten der Krimi-und Thrillerabstinenz hat es mich mal wieder zu diesem Genre gezogen. Nach einigem Stöbern und Abwägen entschied ich mich für „Die Zahlen der Toten“. Die Inhaltsangabe und eine Leseprobe sagten mir zu, die Tatsache, dass es sich um den ersten Thriller der Autorin handelt motivierte mich ebenfalls zum Lesen und außerdem handelt es sich um einen amerikanischen Thriller, die ich dann doch bevorzuge.

Die Autorin

Man erfährt lediglich, dass die Autorin 1960 geboren wurde, viele Jahre als Finanzmanagerin arbeitete mit ihrem Mann in Texas lebt und an ihrem zweiten Roman schreibt mit Kate Burkholder als Polizeichefin.


Die Toten werden gezählt...

Kate Burkholder ist Polizeichefin in einem Ort namens Painters Mill, in Ohio gelegen. In jenem Ort, indem ansonsten nicht wirklich viel los ist, werden mehrere zerstümmelte Frauenleichen gefunden. Den Toten wurden römische Ziffern auf den Bauch geritzt und anhand dieser Ziffern lässt sich vermuten, dass es nicht die ersten Opfer des Täters sind.

Vor 16 Jahren gab es schon einmal solch eine Mordserie in Painters Hill, Kate war damals 14 Jahre alt und lebte in einer amischen Familie, eine sehr gottesgläubige Gemeinschaft, die sehr zurückgezogen lebt, technische Errungenschaften nicht beachtet, mit Kutschen anstelle von Autos fahren und von der nicht gläubigen Welt, den nicht gläubigen Menschen Abstand halten.
Von einem Tag auf den anderen hörten die Morde zu der damaligen Zeit auf und Kate und ihre Familie hüteten seit dieser Zeit ein Geheimnis, welches Kate 16 Jahre lang sehr schwer belastet. Der Leser erfährt recht früh im Buch von diesem Geheimnis, dennoch möchte ich es an dieser Stelle nicht verraten.

Aus Angst das Kates Geheimnis aufgedeckt wird, versucht sie die Morde alleine mit ihrer Polizeitruppe zu lösen, obwohl sie hätte Verstärkung anfordern sollen, was natürlich zu etlichen Spannungen führt.

John Tomasetti wird zu dem Fall hinzugezogen, er ist Anfang 40, hat seine Familie durch eine Tragödie verloren, er ist alkohol- und tablettenabhängig. Seine Dienststelle bietet ihm die vorzeitige Rente an, die er jedoch ablehnt und da sie keine andere Möglichkeit sieht ihn loszuwerden, setzen sie ihn auf den Fall an, in der Hoffnung er würde scheitern.

Um nicht zu viel vorweg zu nehmen, möchte ich es gerne bei dieser kurzen Inhaltsangabe belassen und mich im Folgenden auf meine Leseeindrücke konzentrieren.

Ich und das Thrillergeschehen...

Als ich mit dem Lesen begann, hatte ich wenige Erwartungen und es hätte mich auch nicht verwundert, wenn ich das Buch nicht zu Ende gelesen hätte. Es ist gar nicht so schlecht an manche Bücher ohne Erwartungen heranzugehen, so kann man zum einen nicht enttäuscht werden und zum anderen hält sich die Spannung etwas zurück.

Mich hat dieses Buch positiv überrascht, was unter anderem an der Protagonistin Kate Burkholder liegt, aber auch an der Erzählweise der Autorin.
Oft begegnet uns in Thrillern, in denen ermittelnde Frauen eine Hauptrolle spielen, eine Person die immer alles unter Kontrolle hat, es mit jedem Mann aufnehmen kann, die keine Schwäche zeigen möchte und auch nicht zeigen kann, die sehr barsch ist, unentspannt und meistens auch unglücklich ist.
Nun, auf der einen Seite ist auch Kate Burkholder eine solche Person, nach außen hin. Auf der anderen Seite ist sie aber genau das Gegenteil und das bekommt der Leser sehr intensiv mit. Man kann einwenden, dass auch die Frauen in anderen Thrillern so sein könnten und dieser Einwand ist sicherlich auch richtig, aber da „Die Zahlen der Toten“ zu einem Großteil der Handlung aus Kates Sicht geschildert werden, in der ersten Person und im Präsens, kann der Leser viel mehr an der Person Kate Burkholder, an ihren Gefühlen, Handlungen und Gedanken teilnehmen.
Eigentlich mag ich Bücher weniger gerne lesen, die im Präsens oder in der ersten Person erzählt werden und wenn beide noch miteinander kombiniert wird, würde ich die meisten Bücher zur Seite legen. Bei diesem Buch habe ich das nicht getan und ich hatte kurioser Weise auch gar nicht einen Gedanken daran.

Ich habe dieses Buch als sehr atmosphärisch empfunden. Der Leser begleitet Kate, es ist Winter, es ist kalt, es liegt Schnee der unter den Schuhen knirscht, wir befinden uns in einer weiten Landschaft, in einer kleinen Stadt in der es viele sogenannte Amische lebt. Auch Kate war einmal eine solche, doch hat sie sich dazu entschlossen sich dieser Glaubensgemeinschaft abzuwenden, was dazu geführt hat, dass ihre Familie sie meidet und sie meidet genauso ihre Familie. Ich hätte gerne noch mehr über diese Glaubensgemeinschaft gelesen und sie hätte von mir aus noch ein wenig mehr in die Handlung integriert werden können. Allerdings ist das kein negativer Aspekt an dem Buch, es gibt ja schließlich entsprechende Sachbücher, außerdem erhöht das die Neugierde auf kommende Bücher der Autorin, in der ebenfalls Kate ermitteln wird.
Beim Lesen fröstelte es mich sehr oft und ich glaube, es ist vielleicht nicht so ratsam das Buch im tiefsten Winter zu lesen, wenn einem sowieso schon andauernd kalt ist. Ich hatte mehrmals das Gefühl mich mitten in einem schneeverschneiten Feld zu befinden, sah die kahlen Bäume und Sträucher vor mir, fühlte den Schneefall und die klammen Gemäuer.

Neben Kate ermittelt auch John Tomasetti und auch über sein Vorleben und den Ereignissen aus der Vergangenheit erfährt der Leser recht viel. Er ist traumatisiert, genauso wie es Kate ist und die Spannung zwischen beiden ist groß. Ich verrate nicht zu viel, wenn ich erwähne, dass sich zwischen den Beiden eine Liebesgeschichte entwickelt und diese erhöht die Neugierde auf die kommenden Werke der Autorin, in der Hoffnung, dass der Leser noch einiges mehr über die Beziehung zwischen Kate und John erfährt, ja ob die Beziehung überhaupt noch Bestand haben wird.
Die Annäherung zwischen den Beiden hatte für mich etwas sehr Menschliches neben all den Morden und Grausamkeiten die in diesem Buch dargestellt werden.

Linda Castillo geht stellenweise sehr intensiv auf die Beschreibungen der Gräueltaten ein und gerade an solchen Stellen, frage ich mich immer wieder, warum man derartige Bücher überhaupt liest. Zum Glück waren diese Stellen nicht in der Überzahl und selbst wenn man sie überliest, weil man sich die Grausamkeiten nicht antun möchte, kann man der Handlung sehr gut folgen. Es ist ekelhaft und widerwärtig was beschrieben wird. Im Thrilleralltag wahrscheinlich nichts Besonders und für jemanden der viele Thriller liest vielleicht auch nicht wirklich schockierend, aber ich fand gewisse Szenen sehr abstoßend. Ob das nun für oder gegen das Buch spricht, sollte wohl besser jeder für sich entscheiden.

Wie ich schon erwähnte, wird der Großteil dieses Buches aus Kates Sicht dargestellt, der andere Teil, bis auf wenige Ausnahmen, wird aus Johns Sicht beschrieben, allerdings in der 3. Person und im Präteritum. Ich fand diese Art des Stils spannungssteigernd, das Erzähltempo ist so unterschiedlich hoch und das Lesen dieses Buches habe ich dadurch abwechslungsreicher empfunden. Allerdings finde ich, dass das Gleichgewicht der Erzählarten noch etwas unausgewogen ist, was aber wohl daran liegen könnte, dass es Linda Castillos erstes Buch und davon auszugehen ist, dass das Gleichgewicht in ihrem nächsten Roman etwas ausgeglichener sein wird.

Wie bei fast allen Büchern dieser Art üblich, ist die Sprache recht einfach gehalten, das Lesen bereitet keinerlei Schwierigkeiten, der Lesefluss wird nicht durch Fremdwörter oder komplizierte Beschreibungen unterbrochen. Ich kann es nicht leiden, wenn viele der Sätze aus nicht mehr als 4-5 Wörtern, die Dialoge oft nur aus dahingeworfenen Wörtern bestehen. Ich komme mir dann immer wie ein Auto vor, dass über eine längere Strecke auf jahrhundertealtes Kopfsteinpflaster fahren muss und meine Lesemotivation sinkt mit jeder Zeile. In „Die Zahlen der Toten“ hatte ich dieses Problem nicht, ich habe die Satzlänge als ausgewogen und dem Genre entsprechend empfunden.

Ich denke solch ein Buch liest man nicht, weil man sich bilden oder sich mit tiefen Gedanken beschäftigen, sondern weil man einfach nur unterhalten werden möchte. Warum es gerade solch brutale Unterhaltung sein muß, werde ich nie verstehen, aber das sagte ich ja schon und das soll hier auch nicht weiter Thema sein.
Unterhalten habe ich mich mit dieser Lektüre bestens, die Spannung war groß und der Showdown mehr als gelungen. Ich konnte die Handlung nicht vorhersehen und fand die Auflösung gelungen und überraschend. Es ist zwar eine in sich abgeschlossene Geschichte, allerdings bleiben dennoch einige Fragen offen, die weniger mit dem Fall als mit Kate zutun haben und welche die Neugierde auf eine Fortsetzung erhöht.

Für mich ein Buch mit sympathischen Protagonisten, einer spannenden Handlung, einem angenehmen Erzählstil, insgesamt ein Buch das mich bestens unterhalten hat.

Sonstiges

Erschienen ist dieses Buch im Fischer Verlag mit der ISBN Nr.: 978-3-596-18440-8, es hat 425 Seiten und kostet 8,95 Euro.

Mein Fazit

Ein kurzweiliges, unterhaltendes und spannendes Buch, welches ich dem interessierten Leser gerne uneingeschränkt empfehlen möchte.