Faszinierende Menschen in einer faszinierenden Zeit

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kleine hexe Avatar

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Sehr einfühlsam geschriebenes Buch über eine faszinierende Epoche in einer faszinierenden Stadt. Der Roman zeigt den Werdegang Lee Millers vom Fotomodel zur Kriegsfotografin, vom Mädchen, das vom Vater zu sehr geliebt wird zur Geliebten, Muse, Freundin großer Künstler der Pariser Boheme, vom Partymädchen zur erschütternden Kriegs- und Holocaustfotografin. Dabei hatte sie es nicht leicht und es sich selber auch nicht leicht gemacht. Sie war ein gefeiertes Fotomodell für die Vogue in den USA. Lee Miller ließ ihre Karriere zurück und zog nach Paris. Damals wie heute, musste man entweder sehr reich sein oder schon einen Namen als Künstler haben, um in Paris Fuß fassen zu können, um „in“ zu sein und die angesagten Leute zu kennen. Lee Miller hatte weder Geld, noch galt ihr Name als Fotomodell in Paris etwas. Sie wird die Assistentin von Man Ray, eines damals viel beachteten, heute leider nur noch Eingeweihten bekannten Künstlers, Fotografen, Malers, Bildhauers. Lee Miller will auch Fotografin werden. Sie will von Man Ray lernen. Später wird sie seine Geliebte. Sie geht ihm zur Hand im Atelier, wird auch seine Muse, Man Ray hört immer auf ihre Kommentare und Ratschläge, wenn sie beim Fotografieren oder Bilder entwickeln sind. Sogar eine neue Art Bilder zu entwickeln entdeckt Lee Miller zufällig und arbeitet die Technik gemeinsam mit Man Ray aus. Aber, obwohl ihr Portfolio an immer besser werdenden Bildern und Motiven wächst, kommt es nie zu einer eigenen Ausstellung Lees. Als ihre Liebe zu Man Ray immer schwieriger wird, bröckeliger, entdeckt sie, dass Man Ray die „Solarisation“ als Entwicklungsmethode als seine eigene ausgegeben hat und für eine Ausstellung in Philadelphia, USA, ihre Bilder als seine eigenen ausgegeben hat. Zur Rede gestellt, behauptet Man Ray es wäre sein gutes Recht, da sie ihm gehöre, als Assistentin und Geliebte. Meine Gedanken an dieser Stelle schweifen zurück, zu Auguste Rodin und Camille Claudel gegen Ende des 19. Jahrhunderts; oder zu André Breton und Ilse Bing, die beiden letzteren kommen auch im Roman vor. Camille Claudel und Ilse Bing waren auch Künstlerinnen, wurden von ihren Partnern unterdrückt und nicht „ans Licht“ gelassen. Ilse Bing gelingt die Trennung, sie hat eigene Ausstellungen, macht sich einen Namen. Lee Miller trennt sich von Man Ray, beginnt eigenständig als Fotografin zu arbeiten, hat Erfolg, während des Zweiten Weltkriegs arbeitet sie als Kriegsfotografin und Reporterin. Sie macht die ersten Bilder aus dem KZ Buchenwald und auch aus dem beschaulichen Ort Dachau und dem schrecklichen Lager gleich daneben mit dem zynischen Spruch „Arbeit macht frei“. „Wenn Lee ein Weitwinkelobjektiv benutzt und die Landschaft samt der gepflegten Rasen im Dorf dahinter einfängt, dann sieht man, wie dicht die Züge an den Leuten vorbeigefahren sind, dass sie es wussten, dass sie es gewusst haben müssen -“(Seite 254) Lee Miller kauft den Deutschen ihre Selbstlüge „Wir haben das nicht gewusst“ nicht ab. Ihre Bilder als Kriegsfotografin schockieren, machen die Kriegsgräuel der breiten Öffentlichkeit erst bewusst. Interessant ist, dass die US-Zensur manche ihrer Bilder nicht veröffentlichen lässt. Z.B. fotografiert Lee Miller, ohne es zu wissen, die ersten Napalm-Angriffe der US-Army. Kriegsgräuel ja bitte, aber nur die von der Wehrmacht oder der SS verursachten bitte.
Sehr ansprechender Roman, nicht ganz Biografie, nicht ganz Fiktion, ein gelungener Schnitt zwischen den beiden Genres. Auf jeden Fall auch ein Stück Zeitgeschichte. Die großen Literaten, Maler, Bildhauer, Fotografen, Filmemacher aus Paris in der Zwischenkriegszeit kommen in diesem Roman vor, mit ihren Schicksalen, Skandalen, man denke nur an das Dreieck Paul Éluard, Gala und Salvador Dali, oder Jean Cocteau, in einem dessen Filme Lee Miller sogar mitwirkt, der Dichter Philippe Soupault, um nur ein paar zu nennen.
Das Titelbild auf dem Schutzumschlag ist sehr interessant gestaltet, ganz im Stil der Zeit in der Lee Miller sich einen Namen gemacht hat.
Ein kleines, wirklich nur ein kleines Manko hat das Buch in meinen Augen doch: mir haben Bilder von Lee Miller und Man Ray gefehlt. Die musste ich separat googeln. Dabei hätten sie im Buch viel besser die Epoche und Geschehnisse illustriert. Aber vielleicht sind Bilder nur in expliziten Biografien erlaubt, nicht in Romanen?