Tragisch

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Mit Lee Miller lernt der Leser eine für ihre Zeit überaus schöne Frau kennen, die ihr Leben lang von einer inneren Zerrissenheit beherrscht wird.
Ein traumatischer Vorfall in ihrer Kindheit und ein sehr schlechtes Verhältnis zur Mutter werfen lange Schatten auf ihr Leben nach dem siebten Lebensjahr. Ihr Vater ist ihr Anker, er liebt sie und sorgt so für eine Kindheit, an die Lee sich gerne erinnert. Zumal die ersten sieben Lebensjahre von einer heiteren Unbeschwertheit einer Kindheit auf dem Lande sind.
Ihren ersten Job als Model gibt sie bald auf, um "Bilder zu machen und keine zu sein".
Diese Absicht führt sie nach Paris und dort in die Arme des Künstlers Man Ray. Der Leser begleitet die beiden während der wilden 20er Jahre dort. Lernt die Abgründe der Künstler-Bohemiens kennen und erlebt Lees Kampf, als eigenständige Foto-Künstlerin anerkannt zu werden. Was ihrer Zerrissenheit immer wieder Nahrung gibt, sie jedoch weiter antreibt.
Als Geliebte von Man Ray wird sie mit der Bedeutung von Sex in diesen Kreisen konfrontiert. Hier tun sich Abgründe auf, gerade auch was die fotografische Darstellung des Themas angeht.
Ein Besuch ihres Vaters in Paris bildet den Widerspruch in ihrem Leben scharf ab. Auf der einen Seite das kleine Mädchen und sein Daddy, auf der anderen Seite die erwachsene Frau, die es nicht schafft, sich zu behaupten und ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu leben.
Allerdings lässt man sie auch nicht, denn ihre fotografischen Arbeiten werden nicht unter ihrem Namen veröffentlicht und gewinnen Preise, sondern unter dem von Man Ray. Das kränkt sie bis ins Mark und führt neben Rays besitzergreifendem Verhalten zum Bruch.

Zwischen der Schilderung ihres Lebens in Paris werden immer wieder Kapitel eingestreut, die sich auf Erlebnisse von Miller als Kriegsfotografien im Zweiten Weltkrieg beziehen. Dokumentarisch hervorragend, führen ihre Bilder und das, was sie erlebt, sie emotional an den Rand des Abgrunds, der Alkohol ist ein treuer Freund.

Mir fällt es schwer, Zugang zu der unsteten, zerrissenen Persönlichkeit von Lee Miller zu finden. Tief in ihrem Inneren geschädigt vom Traum ihrer Kindheit, den Nacktfotos, die ihr Vater von ihr als kleines und junges Mädchen anfertigt und dem schlechten Verhältnis zur Mutter, findet sie keinen Halt im Erwachsenenleben und ist nicht in der Lage, eine feste Beziehung aufzubauen. Sie flieht, traut sich nicht, ist unsicher, was Liebe ist.
Ihre Zeit als Kriegsfotografin, die sie weit tiefer blicken lässt, als es menschliche Abgründe gibt, zieht sie weiter in ihre persönliche Misere hinein. Seelisch geschädigt, zieht sie sich in ihre eigene Welt zurück und scheint die Tage irgendwie zu verdämmern. Die Vergangenheit lauert ständig im Hintergrund, wie das Damoklesschwert bereit, hinabzufahren.

Eine Biografie über eine Persönlichkeit, die das Leben anpackt, aber doch nicht in der Lage ist, es erfolgreich und glücklich zu meistern.