Die zitternde Welt

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missbibliophile Avatar

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Hochschwanger reist die junge Maria, die aus einem kleinen österreichischen Dorf stammt, Ende des 19. Jahrhunderts ihrem Geliebten Wilhelm nach Anatolien nach, der dort als Eisenbahningenieur am Bau der Bagdadbahn beschäftigt ist. Ausgebrochen aus der Enge ihres Lebens, folgen für Maria, Wilhelm und ihren drei Kindern Jahre des scheinbaren Glückes an einem fast schon paradiesisch wirkenden Ort. Dieses Glück, so stellt es sich heraus, ist nur von kurzer Dauer, denn der Erste Weltkrieg rückt unerbittlich näher und auch Wilhelms Arbeit bedeutet, dass sie stets dorthin gehen müssen, wo für die Bahn gebaut wird. Als der Krieg dann auch bei ihnen ankommt, bleibt nichts, so wie es mal war. Weder die Orte, noch die Menschen.
Von der Handlung her fand ich Tanja Paars Roman sehr spannend. Allgemein lese ich sehr gerne Bücher, die in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg spielen, deshalb war mir das Buch sofort sympathisch. Nach dem Lesen würde ich ihm allerdings nur 3.5/5 Sternen geben, da es doch einige inhaltliche Schwächen hatte, die den Lesegenuss etwas getrübt haben.
So schreibt die Autorin ziemlich am Anfang, dass Maria hochschwanger im Sommer 1896 in Bünyan ankommt, d.h. ihr Kind auch kurz danach gebiert. Das Alter des ältesten Kindes wird als vier angegeben, was das Jahr 1900 oder 1901 machen müsste, aber eines der Charaktere erwähnt, dass es 1899 sei. Das geht nicht auf.
An anderer Stelle wird erwähnt, wie die Dienstboten der Familie Kuskus mit Minzsauce essen. Das hört sich verdächtigt nach einer nordafrikanischen Speise an. In Anatolien würden sie Bulgur essen und höchstwahrscheinlich Joghurt dazu.
Ziemlich in der Mitte des Romans möchte sich Maria eine Darbietung anschauen, die nicht für Frauen zugelassen ist und versucht ihren Mann zu überreden, indem sie ihm sagt, sie würden gemeinsam zum Abendessen gehen, dort Kopfschmerzen (oder so ähnlich) vortäuschen und früh auf ihr Zimmer zurückgehen. Aber bevor das alles passieren kann, kommt schon das Signal, dass der Mann, der sie abholen soll, da ist und sie geht. Wahrscheinlich wollte die Autorin da eine andere Szene schreiben oder sie hat etwas weggekürzt und die Passage ergibt deshalb keinen Sinn.
Ein letzter Fehler, der mir aufgefallen ist: Zwei Charaktere unterhalten sich im Jahr 1910 und einer von ihnen sagt, dass die Bewohner Griechenlands, Serbiens und Bulgariens unruhig würden und sich vom Osmanischen Reich loslösen möchten. Alle drei Staaten waren da aber schon seit Jahrzehnten unabhängig vom Osmanischen Reich.
Das mögen vielleicht Kleinigkeiten sein, die aber für Leute, die auf so etwas achten, schon sehr störend sein können.
Ganz allgemein gesagt, fand ich den zweiten Teil besser als den ersten, weil die Handlung an Geschwindigkeit zunahm.
Außer den obigen Fehlern gab es einige weitere Dinge, die mir nicht gefallen haben oder für Verwirrung gesorgt haben.
Die Protagonistin war mir stellenweise sehr unsympathisch. Sie sollte eine starke, unabhängige Frau darstellen, aber klang meistens wie ein störrisches und trotziges Kind.
Wilhelm war auch nicht besser, weil er ziemlich zweidimensional war. Vielleicht lag es auch am Stil des Buches, denn durch die vielen Zeit- und Ortsprünge wurden Dinge, die in der Zwischenzeit passiert waren, nicht gezeigt, sondern von den Charakteren erzählt. Und das wirkte an manchen Stellen so, als ob ganze Passagen aus einem Geschichtsbuch kopiert seien, bzw. es las sich nicht natürlich, sondern wie Worte, die ihnen durch die Autorin in den Mund gelegt worden sind. Das fand ich besonders schade, da die Handlung so viel Potenzial gehabt hätte, die durch "show, don't tell" viel besser zur Geltung gekommen wäre.
Und schließlich: Warum die Familie denselben Nachnamen wie die Autorin hat, wird auch nirgends erwähnt, das hätte mich nämlich brennend interessiert.