Ein einzigartiges Buch

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frollein_wunderbar Avatar

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Ich weiß jetzt, wieso der Klappentext und die Inhaltsangabe von "Die zitternde Welt" so nebulös formuliert sind. Auch Titel und Cover werfen mehr Rätsel auf als Licht in den Inhalt des Buches!
Es handelt sich um eine Familiengeschichte, beginnend mit Maria, die hochschwanger Wilhelm, dem zukünftigen Vater des Kindes, nach Anatolien folgt. Sie bauen sich dort eine Heimat auf und gründen eine Familie. Die Beziehung zwischen Maria und Wilhelm, die es zu Wohlstand gebracht haben, ist geprägt von Unterschieden, sowohl was ihr Temperament angeht als auch das Verständnis von Glück, von Freiheit.
Als der erste Weltkrieg ausbricht wird die Idylle zerstört, das, was Glück und Heimat für Maria bedeutet, wird ihr genommen. In immer schneller kreisenden Perspektiv- und Ortswechseln und Zeitsprüngen erleben wir, wie eine Familie teils zerrissen wird, sich andererseits auch völlig bewusst voneinander entfernt.
Für mich standen im Zentrum der Geschichte die sich gegenüberstehenden Seiten. Vieles steht in Konkurrenz oder Konflikt zueinander.
Heimat und Herkunft.
Zugehörigkeit und Ausgrenzung.
Verlust und Gewinn.
Kultur, Tradition, Vorurteile, Werte.
Es geht auch um die Rolle der Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts, um die Rolle der Frau im osmanischen Reich, in Europa und auch das Rollenverständnis losgelöst von Kultur und Zeitalter.
Man erfährt auf den verblüffend wenigen 300 Seiten des Buches allerhand Hintergründe aus Politik, Geschichte und Wirtschaft des frühen 20. Jahrhunderts. Diese fügen sich wie selbstverständlich in die Geschichte der Familie und ihres Umfeldes ein.
Am Ende des Buches, das mitten im 2. Weltkrieg spielt, fragt man sich: Ist Heimat ein Segen oder ein Fluch? Was, wenn man nicht zurück nach Hause kann oder will. Was, wenn man überall fremd ist, weil es deine Heimat so wie du sie kennst nicht mehr gibt?
Ein hochaktuelles Thema in einer Familiengeschichte verpackt, die alles einmal anders erzählt, ungewohnt und ungewöhnlich.
Tanja Paar ist es gelungen, mich in den Bann der geschichtlichen und politischen Verwicklungen zu ziehen und hat bei all der Tragik der geschilderten Ereignisse trotzdem kein trauriges Buch geschrieben.
Mir hat besonders die Zeichnung der Charaktere gefallen, alle Figuren sind sehr echt und lebendig, greifbar für mich gewesen. Obwohl die Erzählweise nicht homogen ist und der Perspektivwechsel teils aprupt fand ich nie etwas unübersichtlich oder verwirrend, ich fand den Stil ganz neu und das hat mir gut gefallen.
Es ist ein einzigartiges Buch muss ich sagen, es sticht heraus, es bleibt im Kopf. Ich habe es sehr gemocht!