Ein toller, historischer Roman ohne Kitsch und Beschönigungen

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thirteentwoseven Avatar

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Je mehr ich gelesen habe desto besser hat mir der Roman "Die zitternde Welt" von Tanja Paar gefallen. Insbesondere im letzten Teil entwickelte sich eine richtig gehende Sogwirkung und ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht.

Im Mittelpunkt des Romans stehen Maria, Wilhelm und ihre Kinder Hans, Erich und Irmgard. Wir begleiten sie durch die schicksalhaften Jahre vom Beginn des Jahrhunderts bis zum 2. Weltkrieg. Wilhelm ist österreichischer Ingenieur und geht zur Zeit der Jahrhundertwende in das osmanische Reich, um dort an der legendären Bagdad-Bahn zu bauen. Maria folgt ihm unverheiratet und hochschwanger ganz alleine, ohne Einladung, ohne zu wissen, ob sie überhaupt willkommen ist. Maria ist eine resolute, schöne Frau, die ihr Schicksal in die Hand nimmt, so scheint es zunächst am Anfang. Es folgen lange, glückliche Jahre in Bünjan. Die glücklichsten Jahre der Familie. Doch die Zeiten ändern sich. Durch den 1. Weltkrieg und seine Folgen wird das Leben der Familie aus den Angeln gehoben.

Tanja Paar erzählt sachlich und doch sehr eindrucksvoll. Mit wenigen Worten verortet sie Land, Zeit und politische Lage, um dann die tatsächliche Geschichte durch besondere Ereignisse, Momente oder Worte der Familie anschaulich und besonders zu machen. Wilhelm, der Ordnungspedant, der seine Bleistifte nach Minenstärke auf dem Schreibtisch sortiert und die quirlige, kreative Maria, die ihre Sachen unsortiert und ungeordnet in einer großen Handtasche verwahrt. Kann das gut gehen?

Dachte ich anfangs der ganze Roman sei aus Sicht von Maria geschrieben und würde eine starke Frau in den Vordergrund stellen, ja vielleicht sogar verkischt heroisieren, so war ich auf einer falschen Fährte. Maria spielt nur zu Beginn die Hauptrolle und auch dort wechselt bereits die Perspektive. Letztlich erleben wir die glückliche Zeit in Bünjan und die schlimmen Kriegs-und Nachkriegsjahre aus der Sicht der einzelnen Familienmitgliedern, aus ganz anderen Blickwinkeln, Orten und Zeiten.
Maria, das erfahren wir erst später, ist aus reiner Not und mangels einer Alternative von Österreich in den fernen Orient gereist. Der Roman birgt noch so manch andere Überraschung. Menschen und Schicksale wirken dabei lebensecht und natürlich, ohne sie zu heroisieren oder verkitschen. Auch ambivalente, egoistische Züge treten zutage. Es hätte alles tatsächlich so sein können.
Die Sprache der Autorin ist klar, präzise und bildgewaltig. Wenige Worte reichen um Stimmungen und Situationen lebendig werden zu lassen. Oft reicht ein Satz am Ende des Kapitels, um alles Bisherige in Frage zu stellen, neugierig zu machen, auf das, was da kommt.
Orte und historische Ereignisse sind sehr gut recherchiert. Hinten im Buch ist zudem eine Karte zur Linie der Bagdadbahn.

Insgesamt hat mir der Roman sehr gut gefallen und ich kann ihn allen historisch interessierten und anspruchsvollen Lesern nur empfehlen.