Unsichere Zeiten

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emmmbeee Avatar

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Als hochschwangere Frau folgt Maria ihrem Wilhelm nach Anatolien, wo er am Bau der Bagdadbahn massgeblich beteiligt ist. Der dörflichen Enge in Deutschland entkommen, warten in der Türkei natürlich andere Schwierigkeiten, aber sie fühlt sich dort wohl. Mit drei Kindern hat sie bald eine richtige Familie, nach einigen Jahren heiraten Maria und Wilhelm sogar. Doch der ausbrechende 1. Weltkrieg ändert alles, die Familie zieht nach Wien, aber die Buben, inzwischen junge Männer, verschlägt es in andere Richtungen.
Die Kürze eines Glimmspans entscheidet das Schicksal, um Leben und Tod der Brüder. Als Erich von seinem Einsatz im 1. Weltkrieg zurückkehrt, kann er seine zitternden Hände nicht mehr in den Griff bekommen. Sie hindern ihn daran, einen Beruf auszuüben. Nur die Musik befreit ihn vom Zittern, und so wird er Tanzlehrer.
Hans muss sich wegen des Kriegsverlaufes im Karst verstecken. Durch die politischen Allianzen weiss die Familie aber bald nicht mehr, zu welcher Nation sie eigentlich gehört, welche ihnen Schutz bieten kann. Doch auch vom zweiten Weltkrieg wird die Familie nicht verschont. Tochter Irmi muss zwar nicht fürchten, als Soldat zu dienen, doch auch als Pflegerin ihrer Mutter wird sie hart gebeutelt.
Der Roman gibt Einblick in gegensätzliche Welten von der Jahrhundertwende bis nach 1945.
Wer bin ich und wer darf ich sein? Wohin gehöre ich? Das Ende bleibt für mich offen und macht neugierig auf eine mögliche Fortsetzung.
Meine Sympathien gehörten anfangs ganz klar Maria, die sich durchzusetzen vermag, aber auch dann, wenn sie nachgeben muss, sich im Neuanfang immer wieder bewährt. Doch als sie ihrer Tochter das Leben schwer macht, sehe ich ihre Person mit anderen Augen.
Dass der Baum auf dem Coverbild auf den Kopf gestellt ist, erkennt man erst bei genauem Hinschauen. Doch auf den Kopf gestellt ist vieles, etwa dass die hochschwangere Maria 1896 ihrem Geliebten nach Anatolien nachreist und Reformkleider trägt. Auch, dass sie so widerspenstig ist und sich ihrem Mann entgegenstellt, entspricht nicht dem damaligen Zeitgeist. Dass sie einen Geliebten hat, von dem ihr Mann weiss, erst recht nicht.
Aus verschiedenen Perspektiven geschrieben, wirkt das Werk besonders lebendig. Der Stil ist angenehm süffig zu lesen, obwohl ich anfangs nur langsam in den Text hineinfand. Eigentlich erstaunlich, dass ein Familienepos 300 Seiten auskommt. Schön finde ich den gelb eingefärbten Schnitt und die angenehme Glätte der Buchseiten.