Sehnsucht nach den 80ern

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luisa_loves_literature Avatar

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Ach, was habe ich diesen zweiten Ausflug auf die zu Tode geliebte Insel im Norden Deutschlands genossen! Nachdem ich schon in „Ozelot und Friesennerz“ in den 70ern unterwegs war, haben mich nun auch die 80er völlig eingeholt. Wie der Vorgängerband auch, leben die Jugenderinnerungen der Autorin von diesem besonders leichten, flüssigen, ungemein humorvollen Plauderton, der ganz trocken zahlreiche Bonmots zum Besten gibt und mit großartigen Anekdoten, auch aus der ganz privaten Familienwelt, unterhält. Dabei gelingt es Matthiessen ganz fulminant die Lebenseinstellung der Norddeutschen herauszuarbeiten, viele Dinge sind mir (Norddeutsche im Exil) so allerbestens bekannt: sei es das notorische Tiefstapeln und damit verbundene Verstecken von Luxus oder die großartige Silberhochzeitsfeier, die ohne Girlandebinden und Köm direkt nach dem Frühstück gar nicht erst in Schwung kommt, da wird getanzt und Jägermeister getrunken, als gäbe es kein Morgen mehr…Für mich ist auch dieses Buch eine herrlich nostalgische, durchaus auch melancholische Zeitreise in eine gefühlt unbeschwertere, einfachere Zeit, eine Begegnung mit den Dingen, die ich schon so lange vergessen hatte (Konsul Weyer! Punker!! Robben!!!) und ein vergnüglicher Ausflug, der der Seele einfach wohltut. Allerdings hat dieser Band im Gegensatz zum Vorgänger eine ausgeprägt dunklere Seite: das Schicksal der Jugendfreundin Pfuschi durchbricht all den Witz und mit berührt mit Ernsthaftigkeit und Bedauern – eine große Leistung angesichts der ansonsten gegebenen Leichtigkeit des Erzähltons. Dazu kommen noch die Rahmenbedingungen der Corona-Pandemie, die von der Autorin ausgiebig beleuchtet werden: für Sylt erscheint das Virus Fluch und Segen zugleich zu sein. Schließlich ist das Schicksal der Insel mit ihrem Autokennzeichen gleichzusetzen: NF = No Future – die Sylter wandern aus, geben auf, die Insel wird verbaut, zerbaut, verkauft, von den Urlaubern und Möchtegern-Syltern und Immobilienspekulanten versklavt, sodass sich echte Sylter (die natürlich am „Untergang“ der ursprünglichen Insel rege beteiligt waren) nicht mehr heimisch fühlen können. Ein tragisches Schicksal für diese illustre, einst glamouröse Königin der Nordsee, das man mit viel Trauer im Herzen beobachtet, gerade wenn man nicht zu den Sylt-Jüngern gehört. Ein tolles Buch, nicht ganz so fröhlich wie „Ozelot und Friesennerz“, aber sehr gute Unterhaltung.