Schonungslos

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Inhalt:
Im Jahr 1999 erschüttert eine grausame Mordserie die Straßen von L.A.
Obwohl „erschüttern“ eigentlich zu viel gesagt ist. Denn wirklich große Wellen schlägt das Ganze nicht. Die Hinterbliebenen der Opfer versuchen zwar sich Gehör zu verschaffen, doch ihre Stimmen gehen unter. Bei den toten Frauen handelt es sich nämlich um „diese Frauen". Um „solche Frauen“, die nachts auf den Bürgersteigen warten und für ein bisschen Geld und Drogen ihre Körper verkaufen.
Fünfzehn Jahre später scheint die Erinnerung an „diese Frauen“ nur noch in wenigen Köpfen wach zu sein. Doch dann schlägt der Täter wieder zu.
„Diese Frauen“ von Ivy Pochoda erzählt nicht die Geschichte einer schrecklichen Mordserie, nicht die Geschichte des Menschen, der diese verübt hat, sondern die Geschichte derjenigen, die sich fürchten, die gejagt werden und letztlich viel zu selten gehört werden.

Meine Meinung:

„Diese Frauen“ ist ein feministisch literarischer Thriller, spannend, aber so viel mehr als das. Er ist auch ein Buch über soziale Abgründe, wie sie sich in vielen Gesellschaften finden. Über Ungleichheit, Chancenlosigkeit, über eine Spirale aus Abhängigkeit und haltloser Freiheit. Und das alles in Los Angeles, einer Stadt voller Extreme, die die Privilegierten noch privilegierter und die Sozialschwachen noch schwächer zu machen scheinen. Die düstere Stimmung, die durch die szenischen Beschreibungen transportiert wird, hat mir sehr gut gefallen. Noch viel mehr gefallen hat mir allerdings die Perspektive, welche die Autorin für ihren Roman gewählt hat. Sie zeigt das Leben der Sexarbeiterinnen von L.A. schonungslos, aber immer aus einem Blickwinkel betrachtend, der den Frauen ihre Würde lässt. (Ich habe überlegt, ob man an dieser Stelle überhaupt von Würde oder „würdevoll“ sprechen kann. Weil das ja eigentlich impliziert, dass es auch würdelos ginge. Aber eigentlich geht es das doch gar nicht. Ich weiß es nicht, aber ich denke, man versteht den Gedanken.)
Gleichzeitig zeigt die Autorin die Frauen aber auch so, wie andere Menschen sie sehen. Anfangs ist es mir nicht so leicht gefallen das einzuordnen, mittlerweile verstehe ich aber, dass der Text auf diese Weise nicht werten, sondern anprangern will.
Das Buch ist in mehrere große Abschnitte geteilt, in denen die Geschichte die Perspektiven verschiedener Frauen einnimmt, die mehr oder weniger mit den Verbrechen in Verbindung stehen. Männer spielen dabei nur im Hintergrund eine Rolle.
Natürlich gibt es neben all der Sozialkritik auch klassische Thriller-Elemente. Ermittlerin Essie Perry will dem Täter auf die Spur kommen. Allerdings hält sich beides im Gleichgewicht, sodass ich letzten Endes gar nicht wirklich sagen kann, worum es sich bei „diese Frauen“ vordergründig handelt. Das Buch ist in jedem Fall kein klassischer Thriller. Es leuchtet dorthin, wo es hässlich ist, es tut weh, es legt seine Finger in die Wunden der amerikanischen Gesellschaft und bohrt.

Fazit:

„Diese Frauen“ von Ivy Pochoda ist eine überaus empfehlenswerte Geschichte, für all diejenigen, die mehr als einen klassischen Spannungsroman lesen wollen. Oder auch für solche Leser, die eher selten zu Thrillern greifen. Es ist Gegenwartsliteratur, weil es unter dem Brennglas einer Mordserie, ein Stück Gegenwart zeigt, vor dem man leicht die Augen verschließen kann. Wegsehen ist einfacher als sich der hässlichen Fratze von Armut und Abhängigkeit zu stellen. Und das fordert dieses Buch von seinen Lesern ein.