Charakterstudie

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gabriele 60 Avatar

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Dius war etwa 20, als er seinen Professor einlud, sein Freund zu werden.. Entstanden ist über die Jahre eine nicht ganz einfache Beziehung, die beider Leben beeinflusste.

Im Mittelpunkt des gesamten Romans steht die Kunst. Gemälde werden auf eine Weise beschrieben, die mich neugierig machten, so dass ich nicht umhin kam, sie im Internet zu suchen. Auch alte Musik spielt eine große Rolle. Doch zu Beginn, das muss ich ehrlich zugeben, hat mich das Buch gelangweilt. Schließlich geschieht die meiste Zeit nicht allzu viel. Wie so oft im Leben, wird die Lethargie dann glücklicher Weise immer mal wieder durch Geschehnisse unterbrochen, die einen aufwachen lassen.

Was mich aber ab etwa der Hälfte nicht mehr losgelassen hat, waren die hervorragenden Charakterisierungen der im Mittelpunkt stehenden Figuren. Da schreibt der inzwischen promovierte Professor auf Seite 175 über seinen Eleven, der sich kaum mal im Unterricht sehen ließ: „Immer wieder beobachtete ich ihn; er war ein Mensch, der nicht in die Zeit passte, in der er lebte, und dadurch zur Verkörperung all dessen wurde, woran es in der heutigen Zeit mangelte …“ Während Anton Dius’ Talente voller Bewunderung anerkennt, beschreibt er sich selbst so: „Ich bin ein Mann vieler halber Talente, nichts Ganzes…, war kaum mit der rohen Übermacht wahrer Begabung konfrontiert … So bin ich ein Mann geblieben,der stets davon träumte, kreativ zu sein, der aber zu gelehrt, zu kultiviert, vielleicht auch zu sensibel war, um das Joch einer echten Begabung zu ertragen.“ (Seite 260).

Fasziniert hat mich, wie der wechselhafte Dius, der sich häufig über den Dingen stehend wähnte, seinen älteren Freund manipulierte. Meist hat er an sich und sein Wohlergehen gedacht und dabei Anton in so mancher Situation vor den Kopf gestoßen. Im zweiten Teil des Romans ist er ganz aus Antons Leben verschwunden und der fällt – schlimmer als zuvor - in seine Lethargie zurück, um dann im dritten Teil Dius trauriges Ende unmittelbar mitzuerleben. Aber nicht, dass ein falsches Bild entsteht: Hier geht es nicht um homosexuelle Liebe, sondern um eine echte, tiefe Freundschaft. Beide Männer lieben Frauen, was aber auch nicht komplikationslos verläuft.


Fazit: Nach einer viel zu langen Einlesezeit, während der ich schon über einen Abbruch nachdachte, hat mich das Buch schließlich doch gepackt. Aber die volle Punktzahl kann ich nach der anfänglich negativen Erfahrung nicht vergeben.