Ein berührender Roman mit Tiefgang

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irene123 Avatar

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Der dreißigjährige Anton, ein Kunstdozent, unterrichtet an einer Kunsthochschule, wo er eines Tages dem zehn Jahre jüngeren Studenten Egidius „Dius“ De Blaeser begegnet. Dius, ein hochbegabter junger Künstler, lädt Anton ein, in einem alten Haus auf dem Land seine Dissertation in Ruhe fertigzuschreiben. Zu seiner eigenen Überraschung nimmt Anton das Angebot an. Zwischen den beiden so unterschiedlichen Männern entwickelt sich allmählich eine Freundschaft, die geprägt ist von intensiven Gesprächen über die Kunst, die Musik und Natur. Immer wieder verlieren sich die beiden für einige Zeit aus den Augen, haben mit eigenen Problemen zu kämpfen, aber genauso verlässlich finden sie auch wieder zueinander. Erst aufgrund einer schlimmen Lüge zerbricht ihre Freundschaft. Doch nach zwei Jahrzehnten Funkstille steht Dius plötzlich wieder vor Antons Tür, völlig verändert und schwer gezeichnet…

Zugegeben, zu Beginn tat ich mir mit diesem Buch schwer. Die Geschichte wird aus der Sicht Antons erzählt, der auf die Freundschaft mit seinem Studenten Dius zurückblickt. Für mich blieb Dius anfangs eher schemenhaft im Hintergrund, da er ausschließlich durch Antons Augen beschrieben wird. Anton hat selbst genug Probleme zu bewältigen, und das machte ihn für mich zur komplexeren und interessanteren Figur. Anton erzählt immer wieder von seinen tiefgehenden Gesprächen mit Dius während ihrer gemeinsamen Spaziergänge auf dem Land, doch es bleibt meist beim kurzen Erwähnen, direkte Dialoge gibt es kaum. Auch der Mittelteil des Buches hat viele Längen, es passiert nicht viel, was mich gefesselt hätte. Dazu kam, dass beide Männer Charaktereigenschaften zeigen, die sie mir nicht gerade sympathisch machten, und viele ihrer Handlungen konnte ich nicht nachvollziehen. Daher fand ich es schwierig, eine tiefere Verbindung zu beiden Männern aufzubauen. Das änderte sich aber schließlich im letzten Drittel des Buches, das mich komplett in seinen Bann gezogen und zutiefst berührt hat. Der Bruch der Freundschaft prägt die Lebenswege der beiden Hauptfiguren nachhaltig und ließ endlich jene Nähe zu ihnen entstehen, die ich anfangs so vermisste. Hier kommt dann auch die unglaublich bildhafte Sprache des Autors so richtig zur Geltung. Hertmans Erzählstil ist angenehm leicht und flüssig, fast schon poetisch anmutend, versetzt mit einem Hauch von Melancholie, der gegen Ende des Buches wirklich unter die Haut geht. Auch die vielen Naturbeschreibungen sind wunderbar lebendig.

Worum geht es in „Dius“ nun konkret? Es ist ein Buch über Freundschaft, über die Frage, was Freundschaft bedeutet und wie viel sie aushält. Der Roman reflektiert, wie Kunstwerke, die Musik und die Natur unser Inneres beeinflussen können und darüber, wie man es schafft, ein erfülltes Leben zu führen. Wie gehen wir mit unseren Beziehungen und der Vergänglichkeit um, wie mit der Natur und ihrer schrittweisen Zerstörung?

Zum Schluss möchte ich noch ein Zitat anfügen, das ich so schön fand, dass es mich zu Tränen gerührt hat:
„In seinem zerschundenen Gesicht sah ich, wenn auch nur einen kurzen Augenblick lang und als huschte ein Lichtfleck darüber hinweg, die namenlose Schönheit eines Menschenlebens aufleuchten.“

Fazit: „Dius“ von Stefan Hertmans ist sicher ein Roman mit einigen Schwächen, doch hat mich das letzte Drittel dermaßen berührt und in seinen Bann gezogen, dass ich eine klare Leseempfehlung aussprechen möchte.