Daughters

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Patchwork-Familien haben es nicht leicht. Mangelnde Akzeptanz von Familienmitgliedern kann sich als schwerer Stolperstein erweisen und die Beziehungen untereinander vergiften. In ihrem Psychothriller "Don' t let her stay" erzählt Nicola Sanders von einem besonderen Fall, in dem es um eine toxische Familienkonstellation und das nackte Überleben von Betroffenen geht.

Das Cover spielt mit subtilen Ängsten. Der Blick der Betrachter*innen konzentriert sich auf die geöffnete Tür. Der helle Lichtschein in einem in Dunkelheit getauchten Raum lässt ein beklemmendes Gefühl entstehen. Der Titel ist eine unverblümte Warnung, der Untertitel lässt alle Alarmglocken schrillen. Was wird in den kommenden Wochen geschehen - und warum?

Eine klare Antwort auf diese Fragen liefert der raffiniert gestrickte Psychothriller nicht. Vielmehr webt Nicola Sanders ein raffiniertes Netz aus dramatischen Ereignissen, die verschiedene Interpretationen zulassen. Die Handlung ist angesiedelt in der aktuellen Gegenwart, das Geschehen wird aus der Perspektive von Joanne Atkinson vermittelt, die mit ihrem wesentlich älteren Mann Richard und dem gemeinsamen Kind Evie in einem vornehmen Anwesen auf dem Lande in Großbritannien lebt, weit weg von der pulsierenden Metropole London. Als erfolgreiche Immobilienmaklerin weiß Joanne die ländliche Idylle durchaus zu schätzen, aber sie fühlt sich nicht wohl in ihrem neuen Zuhause, das aufgrund der durchgesetzten Sicherheitsvorkehrungen fast wie ein Gefängnis anmutet. Mit ihrem Baby auf sich allein gestellt, kämpft sie gegen die ersten Anzeichen einer postpartalen Depressionen, abgeschnitten von ihren (beruflichen und privaten) sozialen Kontakten, hermetisch abgeschottet von der Außenwelt von einem cholerischen Mann. Die Ankunft ihrer undurchsichtigen zwanzigjährigen Stieftochter Chloe aus der ersten Ehe ihres Mannes, die sich für unbestimmte Zeit im Hause ihres Vaters einquartiert, führt zu ernsten Auseinandersetzungen zwischen Richard und Joanne. Chloe erweist sich als eine Meisterin der Manipulation, die ihren Vater und ihre Stiefmutter gegeneinander ausspielt. Joanne sieht sich gefangen in einem Alptraum, aus dem es keinen Ausweg mehr zu geben scheint.

Bei der Lektüre stellt man sich unwillkürlich die Frage, wer hier die Wahrheit sagt und wer nicht. Aufgrund von traumatischen Erfahrungen in ihrer Kindheit ist Joanne psychisch labil, sie leidet unter eine postpartalen Depression und nimmt ärztlich verordnete Medikamente ein, die ihre Wahrnehmung beeinflussen können. Chloe hingegen verhält sich ambivalent, ihrem leiblichen Vater hingegen benimmt sie sich tadellos, während sie sich ihrer unsicheren Stiefmutter gegenüber zahllose Gemeinheiten (in Abwesenheit ihres Vaters) erlaubt. Ist sie von Hass auf die Patchwork-Familie getrieben? Wie weit wird sie in ihrer Abneigung gegenüber der zweiten Frau und dem neuen Baby gehen?

Der Psychothriller ist raffiniert gestrickt mit schwer durchschaubaren handelnden Personen, was für großen Nervenkitzel sorgt. Nicola Sanders überrascht mit unerwarteten Twists, die ihre Leser*innen zu einem ständigen Perspektivenwechsel während der Lektüre zwingen. Man muss seine eigene Wahrnehmung hinterfragen und ist wie gefangen in einem unheimlichen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Nach dem blutigen Show-Down glaubt man, die Lösung des Rätsels gefunden zu haben, bis der Epilog wieder alles infrage stellt. Wer lügt? Wer sagt die Wahrheit? Ein Buch, das unter die Haut geht!