Doppelportrait oder Gegensätze ziehen sich an

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1969 wird der berühmte Kunstmaler Oskar Kokoschka beauftragt, von der Krimikönigin Agatha Christie zu ihrem 80. Geburtstag ein Portrait zu malen. Dies ist der reale Hintergrund für Agneta Pleijels Roman. Kernstück sind 6 Kapitel mit den 6 Sitzungen, die der Künstler mit seinem Modell hat.

Der Roman lebt von Gegensätzen, die weder die Akteure noch der Leser erwarten. So will der Maler kein regungslos dasitzendes Modell als Vorlage für sein Werk, sondern er will das Leben seines Modells kennen lernen, will den Tagesablauf studieren und Fragen beantwortet haben. Hier trifft er bereits auf die erste Schwierigkeit: Die Autorin, von der er (und die Leser) wortgewandte Antworten erwarten, zeigt sich reserviert, introvertiert, schüchtern. So bleibt dem Künstler nichts Anderes übrig, als zunächst seinem Modell (und damit auch dem Leser) aus seinem Leben zu beerichten, zu schildern, was ihm wichtig war: Insbesondere seine große Liebe zu Alma Mahler.

Mrs. Christie hingegen enthüllt dem Leser Details aus ihrer Kindheit und aus ihren jungen Jahren dadurch, dass diese vor ihrem geistigen Auge erscheinen. Erst bei den letzten Sitzungen schildert die Autorin ihrem Portraitisten eines der einschneidendsten Erlebnisse in ihrem Leben, ihr „Untertauchen“ im Jahre 1926 in Harrogate, die weltweite Suche nach ihr und die anschließende Trennung von ihrem Ehemann Archie, der sie findet. Im Gegenzug schildert Kokoschka die Geschichte der „Alma-Puppe“ als Ersatz für seine verlorene Liebe.

Überhaupt ist jeder der Akteure das Gegenteil von dem, was der Leser erwartet: Der weltmännische Maler, der seinen eigenen Whiskey mit zu den Sitzungen bringt, nimmt den Auftrag für das Portrait unter anderem nur an weil seine Frau Olda ihm erklärt, sie könnten das Geld gut gebrauchen. Und die Lady zeigt sich nicht nur bei den Gesprächen zurückhaltend, sondern weiß auch anfangs nicht, wie sie sich am passendsten für die Sitzungen kleiden soll.

Letztendlich erfährt die Leserin und der Leser viel Neues aus der Biografie beider Künstler und über ihr (unterschiedliches) Verständnis von Kunst. Und man kann beim Lesen des Buches nicht sicher sein, wo die „echten“ biografischen Daten enden und die künstlerische Freiheit der Autorin beginnt. Mich hat das Buch asuf jeden Fall dazu gebracht, zumindest erst einmal die Biografien beider Hauptfiguren nachzulesen. Und mir hat das Buch (50 Jahre nach meiner Schulzeit) endlich die Erkenntnis gebracht, was das Besondere an dem Christie-Roman „The murder of Roger Ackroyd“ ist – dass nämlich der „Ich“-Erzähler der Geschichte am Ende der Mörder ist, der das ganze Buch über nicht nur die Romanfiguren, sondern auch die Leser täuscht.