Fabelhaft!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
naraya Avatar

Von

London 1969. Zum 80. Geburtstag seiner Großmutter möchte Mathew Prichard ein Porträt von ihr malen lassen. Nur widerwillig stimmt sie zu, denn Aufmerksamkeit ist ihr ebenso zuwider, wie die genaue Betrachtung ihrer selbst. Auch der Maler zweifelt, denn eigentlich wollte er London bereits in wenigen Tagen wieder verlassen. Und so startet diese Zweckgemeinschaft in die erste von sechs Sitzungen, in denen sich die beiden besser kennenlernen, intensive, tiefgründige Gespräche führen und am Ende zu Freunden werden. Die Großmutter ist Schriftstellerin Agatha Christie, der Maler Oskar Kokoschka.

In ihrem Roman mit dem sprechenden und mehrdeutigen Titel „Doppelporträt“ erzählt die schwedische Autorin Agneta Pleijel, wie ihrer Meinung nach die Begegnung zwischen Agatha und Oskar abgelaufen ist. Dabei wechselt sie immer wieder die Perspektive und betrachtet die beiden Künstler jeweils mit den Augen des/der anderen. In Gesprächen, aber auch in ihren Gedanken tauchen sie immer wieder in die eigene Vergangenheit ein, so dass sich quasi zwei Kurzbiographien ergeben. Besonders springt dabei ins Auge, dass Pleijel ihre wörtliche Rede nicht kennzeichnet, das macht – meiner Meinung nach – den Text aber nicht weniger verständlich.

In Agatha Christie und Oskar Kokoschka treffen zwei große Persönlichkeiten aufeinander. Sie ist zunächst sehr skeptisch und kann den Maler und vor allem seine Art, zu arbeiten nicht verstehen. Er weiß seinerseits nicht, was er von der in sich gekehrten alten Dame halten soll. Doch dann entdecken sie Gemeinsamkeiten, zum Beispiel in ihren Erfahrungen mit unglücklicher Liebe, Mutter- bzw. Vaterschaft und natürlich der Kunst. Alle Gespräche sind fiktiv, wirken aber sehr authentisch und plausibel.

Wer hier erwartet, einen vollständigen Abriss über das Leben der beiden Berühmtheiten zu erhalten, wird sicherlich enttäuscht. Wer sich aber auf diese Art des Erzählens in Gesprächen und kurzen Schlaglichtern einlassen kann, erhält einen privaten, beinahe zärtlichen Blick auf zwei große Künstler, in dem weder Agathas mysteriöses Verschwinden noch Oskars Besessenheit von einer Puppe fehlen. Fabelhaft!